Die Inszenierung 2006 erwies sich als prophetisch. Damals fand Regisseur Keith Warner in einem Hotel den besten Ort, um die Diener-Herr-Situation darzustellen. Fünf Jahre später sollte Dominique Strauss-Kahn ebendort der Vergewaltigung eines Zimmermädchens bezichtigt werden. Parallelen zwischen dem sorglosen, vom Schicksal verwöhnten Weiberheld Don Giovanni zu dem mächtigen IWF-Chef drängen sich bei dieser Neueinstudierung im Theater an der Wien geradezu auf.
Mit seiner Inszenierung von Mozarts „Don Giovanni“ hat Regisseur Keith Warner ein aktuelles Sittenbild kreiert, das gleichzeitig Mozarts Musik in den Mittelpunkt stellt. Die Vielschichtigkeit der Komposition sowie des Librettos von Lorenzo da Ponte in diesem dramma giocoso wird mit einer Mischung aus Humor und Ernsthaftigkeit in Szene gesetzt. Die Zeitlosigkeit des Plots kommt auch in den Kostümen zum Ausdruck. Die handelnden Personen erscheinen entweder im eleganten (Business-) Outfit oder in Dienstkleidung, beim Maskenball jedoch wechseln sie in altmodische Gehröcken, ausladende Krinolinen und tragen pompösen Perücken.
In der Oper stehen Donna Elvira, Donna Anna und das Zimmermädchen Zerlina stellvertretend für Don Giovannis 1800 internationale „Opfer“, über die der Hotelportier Leporello (Jonathan Lemalu) penibel Buch führt. Aber so eindeutig sind die Beziehungen freilich nicht, denn auch die Frauen lassen sich bereitwillig auf das Spiel mit dem Feuer ein, nützen es um ihre (langweiligen) Verlobten eifersüchtig zu machen oder um mit verbotenem Sex ihr Leben aufzumuntern. Alle Personen agieren an der Schwelle zur Karikatur. Nathan Gunn verleiht dem Lebemann Don Giovanni Hollywood-Flair à la George Clooney. Jennifer Larmore überzeugt als Donna Elvira, die als betrogene Verflossene zwischen Hysterie, Begehren und Beschützermission gegenüber den anderen Frauen hin und her gerissen ist. Zerlina (wunderbar spielerisch: Mari Eriksmoen) gefällt die Beachtung des reichen Herrn, nützt ihre Erregung aber um ihren Masetto (Tareq Nazmi) anzuheizen. Ambivalent bleibt die Figur der Donna Anna, die zwar "Vergewaltigung" schreit, aber ihrem Geliebten das Schwert zuschiebt, mit dem er ihren Vater, den Komtur (Lars Woldt) töten wird. Die stimmliche Veränderung von Jane Archibald als Donna Anna ist großartig. Im ersten Akt klingt ihr Sopran noch gepresst, doch im zweiten Akt kommt der ganze Schmerz dieser Figur in der berühmten Arie „Crudele? … Ah no, giammai mio ben!“ berührend zum Ausdruck. Der Schmerz wird real, während ihr Verlobter Don Ottovio (lyrisch einfühlsam: Saimir Pirgu) sich langsam mit dem Koffer auf dem langen Gang von ihr entfernt. Das Mozarteumorchester Salzburg unter der Leitung von Ivor Bolton bringt die emotionale Transformationen im Orchestergraben zu musikalisch höchster Vollendung.
Das Setting ist ein wandelbares Bühnenbild (Ausstattung: Els Devlin), das den Blick einmal auf unendliche Zimmerfluchten freigibt, dann wieder auf eine Liftkabine einengt. Die Begegnung mit dem verstorbenen Komtur findet im Keller des Hotels statt. Bei der letzten Begegnung sind die Zeichen der Dekadenz unübersehbar: das Etablissement ist ebenso wie seine Bewohner in die Jahre gekommen. Don Giovanni und Donna Elvira sind ergraut und scheinen die Fäden ihres Lebens nicht mehr vollständig in der Hand zu haben, bevor der steinerne Gast als Rächer erscheint und Don Giovanni in einem gläsernen Sarkophag blutüberströmt zusammensinkt.
All das und vor allem die sorgfältige Personenführung ist das Forte bei dieser Regie, in der der Arnold Schönberg Chor die Hauptrollen mit tänzerischer und musikalischer Leichtigkeit unterstützt. Mit Michael Moxham als Co-Regisseur und Karl Alfred Schreiner als Choreograf ist es dem Team um Keith Warren gelungen, diese große Mozart-Oper zu einer wunderbaren Parabel auf allmächtige Männerphantasien zwischen Komik und Tragik zu gestalten. Neben dem oben angeführten ehemaligen IWF-Chef fallen einem gerade heutzutage dazu dutzende andere berühmter Namen ein.
Theater an der Wien: „Don Giovanni“ am 14. Dezember 2016. Weitere Vorstellungen am 17., 19., 21. sowie am 28., 31. Dezember mit Erwin Schrott in der Titelrolle.