Dem großen Ballettmeister des russischen Zaren, Marius Petipa, verdanken wir einige abendfüllende Werke, die noch heute gern getanzt werden. „Raymonda“ von 1898 ist sein letztes, und dass es sich noch immer im Repertoire hält, ist Rudolf Nurejew zu danken. Er schuf eng an Petipa gelehnt eine Version für das Royal Ballet, die 1964 uraufgeführt wurde. In seiner späteren Heimat Wien gab es sie 1985 zu sehen.
Dieser kurze Hinweis über historische Daten möge zum Problem überleiten, dass „Raymonda“ in erster Linie balletthistorisch interessant ist. Einem heutigen Publikum, das nicht aus Tanzforschern oder Tänzern besteht, wird bei diesem opulenten Schinken mitunter recht schnell fad. Denn die „Handlung“ ist sehr dürftig und auch nicht besonders spannend. Es handelt sich bei der Story um eine Art Märchen um das mittelalterliche Adelsfräulein Raymonda aus der Provence, das sich zwischen dem christlichen Ritter Jean de Brienne und dem feurigen Sarazenen Abderachman entscheiden muss. Dazu verhilft ihr eine weiße Geisterfrau, und Raymonda schenkt ihr Herz schließlich dem edlen Prinzen.
Ohne vorherige Kenntnis des Librettos erschließt sich all das gar nicht. Gehandelt im Wortsinn wird selten, und der eigentliche Plot ist eher dürftig. Doch darum ging es ja seinerzeit auch nicht. Ein solches Werk sollte eher Stimmung machen mittels opulenter Bühnenbilder und prächtiger Kostüme und vor allem dem Publikum wunderbaren Tanz präsentieren. Und da gibt es auch viel Gelegenheit dank jeder Menge Einlagen von damals beliebten Nationaltänzen. In diesem Fall arabische und ungarische, und darüber hinaus technisch schwierige Pas de deux und weitere Formationen zu viert oder fünft. Tanzen die einen, schauen alle anderen zu. Einziges „Handlungselement“ ist, wenn der Sarazene und der Ritter zu Pferd einander duellieren.
Trotz tänzerisch hervorragender Darbietungen des Wiener Staatsballetts war nach den beiden Pausen ein sichtlicher Schwund des Publikums zu bemerken. Bei allem Pomp und trotz mitreißenden Dirigats von Kevin Rhodes der Musik von Alexander Glasunow machte die Müdigkeit sich im Laufe von über drei Stunden breit. Wenn es auch sakrosankt klingt: Nurejew-Choreographien gelten zwar als technisch herausfordernd für die Tänzer, sind aber selten flüssig anzuschauen. Und so nutzt eben irgendwann alle Brillianz nicht mehr viel, wenn es um ein theatrales Erlebnis geht.
In der ersten Vorstellung der Wiederaufnahme tanzte Nina Polakova die Titelrolle, beherzt, aber nicht mit allerletzter Eleganz. Jakob Feyferlik gab den Ritter auch sehr engagiert und auf bestem Weg zur Prinzenrolle. Davide Dato überzeugte als sprungstarker Sarazene Abderachman. Auch Natascha Mair und Nina Tonoli als Freundinnen Raymondas zeigten, was sie alles schon (sehr gut) können.
In der nächsten Vorstellung am 26. Dezember wird Liudmila Konovalova die Raymonda tanzen, die ihr vermutlich sehr liegen wird. Robert Gabdullin gibt dann den Ritter, und Alice Firenze sowie Ioanna Avram tanzen die Freundinnen. Eine gute Besetzung für den Abderachman ist bestimmt auch Mikhail Sosnovschi, der ihn am 3. Jänner tanzen wird.
Wiener Staatsballett: "Raymonda", Wiederaufnahme am 22. Dezember 2016 an der Wiener Staatsoper. Weitere Vorstellungen am 26., 27. und 30. Dezember sowie am 3. und 8. Jänner 2017.