NewsOFFstyria – das ist Neues zum Hinhören und Hinschauen. Und das war außerdem die allererste Ausgabe eines Uraufführungs-Festivals für die freie Theaterszene der Steiermark in Graz. Das waren 5 Produktionen mit und von KünstlerInnen mit engem Bezug zur Stadt und seinem steirischen Umland; das waren 5 formal überaus konträre Auseinandersetzungen mit brisanten, zeitimmanenten Inhalten. Präsentiert an 5 unterschiedlichen, zum Großteil sehr theateruntypischen Aufführungsorten.
Womit sich gleichzeitig eine Verbindung zum Thema des integrierten Aktionstages ergibt: „Wem gehört der öffentliche Raum?“ Eine insbesondere in Graz immer wieder sehr brennende Frage.Organisiert auf Initiative von „Das andere Theater“, wurde diese Veranstaltung auf einem der zentralen Plätze der Stadt vorbereitet, angelegt rund um vier „Manifeste“ zum Thema, denen angeregte Gespräche mit und unter den Zuhörern folgten. „Sharing the space“, wie Goro Osojnik, der Theatermann aus Ljubljana, formuliert, ist jedem durchschnittlich Weltoffenen eine Selbstverständlichkeit; allein, sobald man ins Detail geht, wird es umgehend heikel und in der Umsetzung schwierig. Umso wichtiger und wertvoller, dass Notwendigkeit und Potentiale in diesem Bereich immer wieder angesprochen, bewusst gemacht und hinterfragt werden – etwa im Rahmen eines Festivals wie dieses. NewsOFFstyria, dieser hier erstmals in Nachfolge zu bestOFFstyria stattfindende, einwöchige Premierenreigen, soll innovativen Formen darstellender Kunst Raum geben; einen, der hinter offenen Türen sich ausbreitet, der lebendig und nah am Publikum ist.
38 Gruppen hatten sich mit ihren Konzepten bis November 2016 um die Teilnahme beworben. Eine internationale Jury traf dann die Auswahl jener 5 Projekte, die anschließend und in Kooperation mit theaterland steiermark für die Bühne umgesetzt und nun präsentiert wurden; vor jeweils sehr zahlreichem und größtenteils begeistertem Publikum.
So geschehen auch bei „Die Alex Identität“ von zweite liga für kunst und kultur, wiewohl die Verunsicherung des Publikums, gepaart mit offenen Fragen, greifbar im Raum stand. Doch hinter der provokant frech-spielerischen, spritzig jungen Aufbereitung, lag zweifellos Methode und letztlich die der beinharten Realität: nämlich der eigenen Verunsicherung angesichts gegenwärtigem, weltweitem Geschehen. So deutbar jedenfalls vor allem der erste Teil, der sich in langwierigen technischen Vorbereitungen auf das Eigentliche und in scheinbar improvisierten Monologen zum zu Erwartenden ergeht; in solchen, die warnend eine Stimmung der Angst aufzubauen versuchen. Dass sich dieses „Vorspiel“ durch seine Länge für manche erschöpft und Langeweile generiert, ist eine Reaktion und lässt Aufmerksamkeit schwinden. Eine andere äußert sich in Ungeduld, die zu Ärger oder gar Aggression führt. Wie auch immer: die Lebensnähe greift. Gänzlich anders gebaut der mediale Hauptteil auf drei Ebenen, fließend verstrickt mit der realen Bühnensituation, changierend zwischen vorgeblich wirklichen Szenen und köstlich fiktiven – wenn sie in ihrem kreativen Aufzeigen faschistischer Gegebenheiten nicht doch vor allem höchst kritisch und gerade auch durch die eine und andere Unverständlichkeit zum Nachdenken animieren und aufrüttelnd wirkten. Ein bemerkenswertes, vielschichtiges Kunst-Produkt der Jetzt-Zeit.
In die Vergangenheit richtet sich der Blick von Das Planetenparty Prinzip in „Magic Hour Time Machine“ - einerseits; vordringlich aber wollen sie das Phänomen des Erinnerns hinterfragen. Das Konzept baut auf einer Führung in der (tatsächlich ehemaligen) Landesdruckerei auf. Doch schon hier, bei der überzeichneten historischen und wenig spannenden Informationsflut, scheitert die junge Gruppe an zeitlicher Überdehnung und vor allem an der simplen Präsentations-Form. Die eigentliche Zeitmaschinen-Geschichte mag vielleicht das eine oder andere Kind dank seiner aufgesetzten Dramatik kurzzeitig fesseln; die abschließende Interaktion mit dem Publikum ist harmlos nett, kann aber jedenfalls das Gesamtprojekt auch nicht mehr retten.
Ein thematischer roter Faden zieht sich durch die anderen drei Produktionen. Anregend vielfältig in ihrer Form und auch in Bezug auf ihr Zielpublikum sind es Probleme der Kommunikation, die sie abhandeln – gekonnt und überzeugend, jede in ihrer Weise. Mit „Letzte Weihnachten. Ein Totentanz“ eröffnete die Gruppe Dagmar das Festival: Witzig-spritzig und doch auch kritisch und mit gewissem Tiefgang, überaus schwungvoll und immer wieder mit Überraschungen verbrämt entwickelt sich dieser Schwank als durchaus in unsere Zeit passendes Volkstheater. Überzeugend darstellendes Spiel, kantig-stimmige Inszenierung und einfallsreiche Raumnutzug lassen die dichten Dialoge funkeln: Die, die wunderhübsch aneinander vorbei und damit ins Leere gehen. Sie lassen den Zuseher schmunzelnd genießen während so manch Bekanntes ihm süßsauer zuzwinkert.
In „Full House“ ist es deklariertes Ziel von Electrico 28, Theater als „Kommunikationsmittel in situ“ wirken zu lassen. Und das gelingt ihnen ganz reizend auf allen Ebenen: Auf der der Kunst, denn die kleine, feine Fabel über das einsame Nebeneinander von drei eigenbrötlerischen Individuen wird mit wenig Aufwand aber gekonnt rollenspezifischer Gestik von den DarstellerInnen mit Kopfmaske vermittelt; aufmerksam und variationsreich unterstützt von Livemusik. Aber: ohne Worte! Und eben dies ist der Schlüssel, der den Kindern den Zugang zu ihren Bildern im Kopf, zu ihren Emotionen öffnet; sind doch viele von ihnen, von dieser Gruppe kleiner Theater-Besucher jedenfalls, der deutschen Sprache nicht wirklich mächtig. Und last not least kam durch Anklopfen der KünstlerInnen bei den Menschen, die rund um den bespielten Innenhof leben, so manches an Kommunikation einerseits, und an zum Teil ersten Zugangängen zum Theater andererseits – etwa auch nur über das Fenster in den Hof - zustande. Zahlreiche weitere Aufführungsmöglichkeiten sind dem Projekt und insbesondere auch einem theaterferneren Publikum zu wünschen
Das Fehlen von Worten in einem ganz anderen Sinne setzen Christina Maria Lederhaas/Veza Maria Fernandez um: in ihrer Performance „Pressures of the Heart“. Ihre Sprachlosigkeit angesichts von Gegebenheiten entlädt sich in teilweise eruptivem, immer aber ausdrucksstarkem, verzweifeltem Schreien; nach einer Anfangsphase, in der sie einander regungslos gegenübersitzend mit zum Schreien geformten, offenen Mündern in die Augen sehen. Ein erstes, starkes Bild. Die dramaturgisch gut aufgebaute, flüssige Szenenfolge nimmt sich trotz ihrer Ungewöhnlichkeit im Ausdruck geradezu selbstverständig ihren Raum - bis unter die Haut der durchwegs erreichten Zuseher. Das ebenso ungekünstelte wie gerichtete Agieren und ruhig geführte Bewegen der beiden ist wie auch ihr Toben von derartiger Präsenz, dass es zur quasi natürlichen, befreienden Kommunikationsweise einer individuell nachempfindbaren, hilflosen Sprachlosigkeit mutiert. Ein gelungenes, ein sehr mutiges Unterfangen, das, gerade auch weil es in einzelnen Passagen und bei einem derartigen Potential der Künstlerinnen noch mutiger, das heißt noch konsequenter, noch eingeschränkter in den Ausdrucksmitteln sein könnte, hoffentlich eine Fortführung erfährt.
NewsOFFstyria : GruppeDagmar : „Letzte Weihnachten. Ein Totentanz“, 12.9.2017, Roseggerhof; zweite liga für kunst und kultur:„Die Alex Identität“, 13.9.2017, KF Uni Graz; Das Planetenparty Prinzip: „Magic Hour Time Machine””, 14.9.2017, ehemalige Landesdruckerei; Electrico 28: „Full House“, 15.9. 2017, Innenhof Griesplatz 20; Christina Maria Lederhaas/Veza Maria Fernandez: „Pressures of the Heart“, 16.9.2017, Kristallwerk