Eine Artistengruppe, die sich „The Seven Fingers“ nennt, kann doch nur eine ungewöhnliche sein. Und so ist es auch, ist ihr herausragendes Miteinander, das dem variantenreichen Genre des Cirque Nouveau zuzuzählen ist und – bei bereits aller starken Konkurrenz dieser relativ jungen Kunstgattung – weltweit zu den Spitzenprogrammen gehört und immer wieder mit international wichtigen Preisen bedacht wird.
2002 taten sich die Sieben, die mannigfache Sparten und Stile vertreten, zusammen. „Eigentlich sind wir gar nicht so unterschiedlich“, wird zwar nach der kurzen verbalen Eigenvorstellung jedes einzelnen resümiert, und doch manifestieren sich schon in diesen wenigen Augenblicken unterschiedlichste Charaktere. Solche, die eine gemeinsame Kunstsprache aber eben doch eng verbindet. Und in dieser erzählen sie in ihrem neuen Programm von dem, was sie zu ihrem Heute gemacht hat. Sie zeigen das, was aus ihrer familienbasierten Vergangenheit ihre Kommunikation im Jetzt bewirkt oder ausmacht. Dass Auswirkungen unserer schnelllebigen Gegenwart dabei ebenfalls ihre Finger im Spiel haben, ist nicht nur nachvollziehbar, sondern auch im Sinne erwünschter Aktualität.
Und so fegt 85 Minuten lang nahezu ausnahmslos ein visueller Wirbelwind über die Bühne; die Künstler ringen bei ihrem high-speed Agieren dabei kaum oder jedenfalls kaum je merkbar nach Atem, während die Augen der Zuseher sehr wohl immer wieder nach Luft schnappen. Wie also in unserer digitalen Welt des Nebeneinanders und Überflusses bleibt nur wenig Zeit, sich einzelnem zu widmen oder gar darüber nachzudenken. Es ist, was es im Augenblick ist; es ist verdichtetes akrobatisch-darstellerisches Können der Extraklasse, kunstvoll in- und aneinandergefügt; strukturell eingebettet in ein Netzwerk von zahlreichen Kulissenverschiebungen, womit auch der Ort des Geschehens eine zeitimmanente Dynamik, teils auch Hektik bekommt.
Eine, bei der so manch individuelle Idee, persönliche Ausprägung und grandiose Einzelleistung ein wenig untergeht. Ein Programm, das in seiner atemberaubenden Summe an Höhepunkten dankbar die geschickt eingestreuten Szenen aufnehmen lässt, in denen dem Zuseher für die Konzentration auf Einzeldarbietungen Raum gelassen wird: So genießt man das zärtliche, hochästhetische Spiel mit Reifen ganz besonders; so weiß man das verzögerte Jonglieren mit Bällen, diese ungewöhnliche Hingabe an ein geradezu schräges Agieren mit …nein, es sind nur scheinbar Lebewesen, in Wirklichkeit aber kleine Bälle. Solche, die wie die Reifen geradezu poetisch Geschichten aufblitzen lassen, tief emotional Atmosphärisches hinhauchen.
Dass sich zum Abschluss die Bühne in ein wogendes Meer überschäumender Emotionen verwandelt, ist zweifellos spektakulär; das Können der Künstler ist freilich schon für sich allein außergewöhnlich genug, dass es derartiger Unterstützungen im Grunde nicht wirklich bedarf. Dass es ein weiterer Grund für lauthals bekundete Begeisterung, anhaltenden Applaus und für ein abschließendes Erheben seitens vieler Zuseher ist, verwundert nicht.
The 7 Fingers: „ Réversible“, Premiere im Rahmen von Cirque Noël: 22.Dezember 2017, Helmut List Halle Graz. Weitere Vorstellungen noch bis 4. Jänner 2018