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konjetzky0Die Lust des Fleisches. Zuviel Input tötet die Fantasie. Insbesondere, wenn in Wort, Sound, Bild, Video und Bewegungskodex einzig und erbarmungslos auf einem Themenstrang herumgeritten wird: Sex. Das mögen auch die vier – zu intimen Exzessen bereiten – Tanzperformer in Anna Konjetzkys neuestem Stück „About a Session” gespürt haben.

Dem Publikum nähern sie sich, anfangs fast schüchtern zurückhaltend, in bequemen Klamotten an. Sie beginnen kokett nachzustellen, was eine Stimme aus dem Off an Handgesten, Kopfneigungen, Epaulements oder sonstigen Moves athletisch-anziehender Körper so beschreibt. Später streckt und reckt eine der Tänzerinnen ihr Hinterteil in die Luft. Ihr Kollege fordert zum Ausprobieren einer ihn anstachelnden rhythmisch ausgefeilten Fünf-Positionen-Abfolge auf. Die Grenze hinein ins Areal der Besucher bleibt jedoch die gesamte Zeit über gewahrt.konjetzky1

Es geht ums Involviert-Werden, aber auch das Gefühl von Distanziertheit. Nur den Nachbarn anzufassen ist verboten, tönt es aus der Box. Bis auf zwei, drei Ausnahmemomente halten diese Ansage auch die Künstler ein. Sobald Gesprochenes den Musikeinsprengseln der Soundcollage von Sergej Maingardt weicht, sind die vier ganz in ihrem Element.

konjetzky2Eine gute Stunde lang verausgaben sie sich vor einem ziemlich bis total zurückhaltenden Publikum in einer Art selbsterfahrungsgeschwängerten Lecture Demonstration – und das sowohl verbal, zwecks Verfremdungs- und Klangeffekten mit Kontaktmikros verkabelt, als auch körperlich. Im Fokus jeder ihrer Sprechsequenzen (die Hälfte davon gefilmte Interviewpassagen) und intimsten Verrenkungen: verschiedene Stufen von Kennenlernen, Flirtauslösern und Erregung. Natürlich ausgespielt bis zum unausweichlichen „Höhepunkt".

Hier wurde der Blick zumindest kurz von der Belgierin Sahra Huby in einem Ganzkörpervibrationssolo gefesselt. Eben weil ihr Tanzen das viele plakative Herumturnen endlich mal künstlerisch auf eine Assoziationen befeuernde Ebene hob. Flankierend traten Quindell Orton, deren lange Beine schamlos den Radius der Privatheit zersägten, Maxwell McCarthy – oft bodenverliebt – und Victor Perez Armero hinzu. Durch den Raum flirrten Buchstaben zum „Thema Nummer Eins“. Im TV-Format flatterten symbolhaft und immer schneller getaktet unter anderem Scarlett Johansson, John Berger, Judith Butler, Cindy Gallop, Colby Keller, Adam Phillips oder Pamela Anderson ins Blickfeld.konjetzky5

Mit zunehmend ruckartigen Stoßbewegungen und eindeutigen Griffen gab sich das Quartett dem eigenen Vergnügen unter knallharten voyeuristischen Bedingungen hin. Vom Vorspiel bis zum bekleidungslosen Cool Down. Unterbrochen von dezidierten Aufforderungen, als Zuschauer doch gerne mitzugehen. Das Ambiente hierfür hatte die seit 2014 von der Landeshauptstadt geförderte und ihre Arbeiten seither mit den Münchner Kammerspielen koproduzierende Choreografin Anna Konjetzky jedenfalls mit eingeplant. Ein veritables Matratzenlager lud zum gemütlichen Beobachten ein.

konjetzky4Doch statt Lust, die aus der Masse gebotener Eindrücke für Aug und Ohr nicht recht auf die Zuschauer überschwappen wollte, gewann die Uraufführung in Kammer 2 der Münchner Kammerspiele mit der Zeit einen beinahe gruppentherapeutischen Touch. Das Publikum zu stimulieren, indem man Analyse – durch erklärende und beschreibende Zuspielungen aus dem Off – und sinnliches Erleben – als getanzten Liveakt – miteinander verquickt, war wohl Konjetzkys Absicht. Einen Strich durch die Rechnung machte ihr aber ausgerechnet der Tanz. Denn nichts ist auf Dauer unerotischer und törnt mehr ab als durchtrainierte, ohnehin in rhythmischen Koordinationsfolgen gewiefte Menschen, die Sex tanzen. Da kann das Rundherum handwerklich noch so ausgetüftelt sein. Schade! Schon ein klein wenig Liebe oder Konfliktpotential hätte hier viel mehr zu bewegen vermocht.

Anna Konjetzkys „About a Session” am 25. Januar (Uraufführung) in Kammer 2 der Münchner Kammerspiele