Verführerischer Hund. Seit zehn Jahren setzt Goyo Montero in Nürnberg neue Maßstäbe in Sachen Ballett. Seine Kreationen sind unverwechselbare Marksteine einer Reise, die ihn als Choreograf kontinuierlich von einer ungewöhnlich interessanten Arbeit zur nächsten führt. Komplex geht es auf der Bühne dabei unablässig zu. In „Dürer’s Dog“ setzte sich Nürnbergs Ballettchef mit dem Universalgenie der Franken-Metropole Albrecht Dürer auseinander. Herausgekommen ist ein wunderbares Stück Tanz.
Der gebürtige Madrilene liebt es, Sehgewohnheiten aufzubrechen und die Zuschauer freundlich-konsequent herauszufordern. Diese Fähigkeit, sowie sein Faible für ausgeklüngelte Lichtstimmungen und ins Tanzgeschehen miteinbezogene Ausstattung (Montero, Eva Adler), macht seine Premieren zu Ereignissen, die man möglichst gleich noch einmal sehen und erleben will – eben weil sich so vieles in seinen Balletten abspielt.
Zum Start in die Jubiläumsspielzeit stand am 9. Dezember 2017 unter dem Titel „Dürer’s Dog“ erstmals eine Uraufführung mit direktem Bezug zur Alten Noris auf dem Programm des Staatstheater Nürnberg Ballett. Gleich vorweggenommen sei: Schöner, persönlicher und freier als in dieser 75-minütigen Choreografie lässt sich der Künstlergenius von Albrecht Dürer nicht fassen. Und je mehr man von dessen Werken – also Monteros Inspirationsquelle – kennt, desto durchsichtiger und unmittelbarer werden die Ideen, Visionen und Verknüpfungen zwischen Kunstvorlage und Tanzumsetzung.
Eine Notwendigkeit sind Vorkenntnisse allerdings nicht, denn Kraft seiner visuellen Einfälle und starken Tanzszenen fesselt das bewusst abstrakt angelegte Stück auch so. Dem Betrachter bleibt freigestellt, inwieweit er den choreografisch aus der Masse herausgestellten Protagonisten Oscar Alonso mit der Person bzw. dem künstlerischen Geist oder Dürers Inspiration in Verbindung bringen will. Dass dieser Tänzer etwas Besonderes verkörpert, macht Montero jedenfalls schon im ersten seiner insgesamt neun Szenenbilder deutlich.
Wie früher im barocken Theater der Deus ex Machina schwebt Alonso in einem gläsernen Kasten zu Boden, wo die Gruppe ihn beäugt und umkreist. Es dauert gut zehn Minuten, bis der mächtige Kubus sich in drei rollende Elemente entfaltet. Etwas später, bevor sich alle im Regenbogenspektrum von Dürers berühmtem Aquarell „Blaurackenflügel“ in dynamischen Formationen austoben (man könnte auch sagen, mit ihren Körpern malen), zaubert Alonso mit seinen Bewegungen die entsprechenden Umrisse als eine Art Hinweis in den schwarzen Bühnenraum (Videodesign: Frieder Weiss).
Um Adam und Eva sirren in alle erdenklichen Richtungen luftige Vorhänge. Ihrem Thema, das um Leben – und durch weitere Paare multipliziert – um Beziehung kreist, sind die längsten Sequenzen des Balletts gewidmet. Die leichten Stoffe werden zu Projektionsflächen und raffinierten Raumteilern. Am Ende streifen Monteros fabelhafte Interpreten ihre dunklen Ganzkörpersuits ab und tragen Dürers akribische Vermessung des Menschen in Trikotform am Leib (Kostüme: Angelo Alberto). Es triumphiert der reine Tanz. Klangmächtig unterstützt von der Staatsphilharmonie Nürnberg unter Guido Johannes Rumstadt. Für den eigens komponierten Sound rund um Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ in der Bearbeitung von Max Richter und Pendereckis „Passacagalia“ zeichnet aufs Neue der Kanadier Owen Belton verantwortlich.
Der titelgebende Gag ereignet sich schließlich völlig unterwartet zum Schluss. Langsam kommen die 24 Tänzer zur Ruhe und beginnen, sich in die Kulissen zu verlaufen. Da entdeckt man ihn plötzlich – Dürers winzigen, zotteligen Hund. Aufmerksam und vorwitzig verhuscht zugleich, wie vor über 500 Jahren im Vordergrund des Kupferstichs „Christi Geißelung“ verewigt, blickt er einige Sekunden lang ins Publikum. Frenetischer Applaus, den am Uraufführungsabend ein lauter Knall – unfreiwillig – noch toppte. Einer der Scheinwerfer hatte die konzentrierte Atmosphäre und poetische Dichte von „Dürer’s Dog“ – Monteros 20. Kreation für Nürnberg – offenbar nicht ausgehalten. Die umjubelte Ballettcrew umschiffte den Scherbenregen beim Schlussbeifall ebenso erschreckt wie geschickt. Wenn das der erfolgreichen Kompanie kein Glück für die nächsten Projekte bringt …!
Am 9. Februar ist Goyo Monteros Tanzstück „Dürer´s Dog“ (Uraufführung am 9. Dezember 2017) voerst zum letzten Mal in dieser Spielzeit noch einmal im Nürnberger Opernhaus zu sehen. Parallel dazu steht Kompanie schon in den Starlöchern für eine Wiederaufnahme in (fast) kompletter Neubesetzung von Goyo Monteros „Der Nussknacker“ am 3. März 2018.