Auch Meg Stuarts „Blessed“ war bei Impulstanz mit dem Etikett „Classic“ versehen. Das Stück aus dem Jahr 2007 ist wohl ein Klassiker performativer Sozialstudien, die seit Mitte der 1990er Jahre so en vogue sind; seit der Tanz zum Körper und Bewegung sekundär bzw. einem Thema untergeordnet wurde. Als Vorreiter dieses Trends zerpflückt Meg Stuart Dramen der menschlichen Existenz. In ihren Bildern beleuchtet sie Situationen aus unterschiedlichen Blickwinkeln, ihre Choreografien werden zu (polit-ästhetischen) Kommentaren, mit depressiver Grundstimmung und teils hartem Zynismus.
Das Wasser, das quasi pausenlos auf die Bühne prasselt, war erfrischend, wurde aus den vorderen Reihen nach der Vorstellung berichtet, nachdem das Thermometer in Wien an diesem Tag 37 Grad angezeigt hatte. Immerhin. Denn ansonsten ist die Welt der Meg Stuart durchweg trostlos. „Blessed“ hat sie unter dem Eindruck der Katastrophe, die Hurrikan Katrina 2005 über New Orleans, ihrer Heimatstadt, gebracht hat, kreiert. Sie thematisiert darin Umweltzerstörung, Obdachlosigkeit und Sensationstourismus. Die Bildfläche dafür liefert der Tänzer Francisco Camargo, der die Verwandlung vom glücklichen Hausbesitzer zum Mittellosen skizziert.
Der große Regen, der en miniature die Bühne überschwemmt, bringt den Mann um Hab und Gut. Die Ausstattung aus Pappe von Doris Dziersk – ein Haus, eine Palme, ein Schwan – schmilzt unter dem prasselnden Nass dahin, der Mann wird zu einem bedauernswerten, armen Würstel, das kläglich scheitert bei seinen Versuchen aus den Überbleibseln doch noch eine Schutzbleibe zusammenzutragen. Als er verzweifelt auf Knien durch das Nass watet, erscheint ihm eine Figur aus dem Karneval in Rio (Katastrophentourismus?), wackelt (ziemlich ungelenk) mit dem Hintern. Kurze Zeit später wird er von einem Mann in unterschiedliche Kostüme gesteckt (sollte dieser Typ die zu spät reagierenden Behörden repräsentieren?). Doch die messianischen Gesten haben sich sowohl in den Köpfen der Zuseher als auch in Camargo festgesetzt, daran ändern auch unterschiedliche Kostümierungen nichts. Ist er also „blessed“, gesegnet, dadurch, dass er alles verloren hat? Wird er selbst zu einem Heilsbringer?
Meg Stuart ist ein Kind des Kulturpessimismus und die Entwicklung der Welt und der menschlichen Community gibt ihr auch zehn Jahre nach der Entstehung des Stücks Recht: weit und breit kein Grund für optimistische Aussichten. Nicht zufällig nennt sie ihre Compagnie „Damaged Goods“, beschädigte Güter. Soweit, so politisch korrekt.
Mit politischem Aktivismus hat Stuart nichts am Hut, sie seziert mit kühler Distanz, und übermittelt ihre Sicht auf die Dinge als fatalistische Gegebenheit. Das Wasser macht die Bühne nahezu unbrauchbar, reduziert die dramatischen Möglichkeiten drastisch. Camargo kann da nur robben oder die Flut vorsichtig mit seinen Badeschlapfen durchwaten. Wir schauen ihm bei diesem Action-Minimalismus brav zu, warten geduldig auf mehr, was aber eben nicht kommen kann. Trotz seines tragischen Schicksals weckt der Protagonist keine Sympathien. Er rebelliert nicht, kämpft nicht (wie etwa die TänzerInnen von Pina Bausch, die sich wiederholt gegen die Widrigkeiten von unpassenden Tanzböden wie Torf oder Nelken durchsetzen mussten), sondern überlässt sich Gott ergeben seinem Schicksal. Das entemotionalisierte Tanztheaterformat von Meg Stuart rüttelt nicht auf, sondern sendet die Adressaten ihrer Message, das Publikum, in anteillose Langeweile.
Meg Stuart /Damaged Goods & Eira: "Blessed" am 8. August, Museumsquartier Wien, Halle G im Rahmen von Impulstanz. Letzte Vorstellung: 10. August