Eintönig grau ist die Welt ohne Fantasie. Einziger Haken an der Sache sind Sorgen. Mit phänomenaler Einbildungskraft – ihrem Elixier für Lebensfreude – bekämpft die uneigennützig hilfsbereite Mary Poppins der australischen Kinderbuchautorin Pamela L. Travers jegliche Tristesse. Mitsamt den Schwierigkeiten der Londoner Familie Banks.
1964 gelang es Julie Andrews, das liebenswürdig-forsche und charmant-eitle Agieren des mit magischen Fähigkeiten und Requisiten ausgestatteten Kindermädchens auf die Leinwand zu übertragen. Ein bis heute unvergessener Fantasy-Musical-Erfolg.
Nun, 24 Jahre später, bringt eine entzückend taff spielende Emily Blunt die fabelhafte Alltagsheldin für ein weiteres emotional aufgeladenes Kinoabenteuer voller vergnüglicher Gesangs- und Tanznummern zurück in die Kinosäle. Herzstück der Geschichte: Der mittlerweile dreifache Vater Michael Banks (Ben Whishaw) versucht, tatkräftig unterstützt von seiner sozial engagierten Schwester Jane (Emily Mortimer), nach dem Tod seiner Frau die Familie über Wasser zu halten. Das Malen hat er für einen Job in der Fidelity Fiduciary Bank aufgegeben. Ausgerechnet dort aber herrscht sein fieser Gegenspieler.
William Weatherall Wilkins (Colin Firth) will mehr Kapital. Unbarmherzig leitet er eine Zwangsvollstreckung ein. Auf dem Spiel steht das schmucke alte Wohnhaus am verträumten Kirschbaumweg 17. Für die Darlehensrückzahlung verbleiben fünf Tage. Im geheimnisvollen Plan von Mary Poppins Zeit genug, um sogar ihre exzentrische Kusine Topsy (hypergenialisch: Meryl Streep) zu besuchen, deren vollgestopfte Reparaturwerkstatt jeden zweiten Mittwoch im Monat auf dem Kopf steht.
Dass die Fortsetzung in der Regie des broadwaygeschulten Altmeisters Rob Marshall das Zeug zum Glücklich-Machen hat, ist gewiss. Man findet in dem bis in die kleinsten Nebenrollen (Angela Lansbury als Luftballonverkäuferin) hochkarätig besetzten Film eine Fülle hinreißender Details und jede Menge liebevoller Anspielungen an Robert Stevensons Original. Nicht zuletzt kehrt Dick Van Dyke – Poppins einstiger energetischer Schornsteinfegerfreund Bert sowie Darsteller von Mr. Dawes senior – am Ende als gealterter, aber unverbesserlicher, noch einmal das Tanzbein auf dem wuchtigen Bürotisch schwingender Wonneproppen Mr. Dawes Jr. wieder.
Zugleich taucht man auf den Fersen des Gaslaternenanzünders Jack (in jeder Situation fulminant: Lin-Manuel Miranda) in ein frisches Ambiente ein, dessen wunderbare Kostümopulenz und historisch aufpolierte Sets Englands Metropole zur Wirtschaftskrise 1930 widerspiegeln. Ein wenig Kitsch, vor allem zum Schluss, darf da nicht fehlen. Disneys „Mary Poppins‘ Returns“ funktioniert wie ein geniales Pop-Up-Buch. Szene für Szene werden die drei Banks-Kinder Annabel (Pixie Davies), John (Nathanael Saleh) und George (Joel Dawson) in übernatürliche Erlebnisse katapultiert. Aus dem Wannenschaumbad wird ein Ausflug ans Meer. Die amüsante Kutschfahrt übers Porzellan der bemalten Schale ihrer Mutter führt in die herrlich traditionell zeichentrickfilmisch animierte Royal Doulton Music Hall.
Als Lektion gipfelt die grandiose Show allerdings in einem lehrreichen Alptraumfinale. Aber wird bei Mary Poppins nicht selbst das Unmögliche möglich? Genau aus diesem Grund reißt der Film einen widerstandlos mit. Auch wenn danach der Kampf gegen reale Probleme trotz der erlebten Vorstellungskraft natürlich weitergeht.
„Mary Poppins – Die Rückkehr“ läuft seit 20. Dezember in Österreich und Deutschland