Der französische Choreograf und Tänzer David Wampach stellte mit „Endo“ sein 2017 im Rahmen des Festivals Montpellier Danse uraufgeführtes Duett nun auch als österreichische Erstaufführung im Tanzquartier Wien vor. Vordergründig ein ekstatisches Spiel mit vielen bunten Farben, die letztlich Körper und Bühne fast vollständig bedecken, ist dieses Stück auch ein schonungsloser Blick in die Psyche des modernen Menschen.
Auf dem Boden der Halle G ein weißes Quadrat, dessen zwei rückwärtige Seiten von ebenso weißen Wänden begrenzt werden. Reinraum-Atmosphäre. Mit dem Verlöschen des die Zuschauer blendenden Lichtes setzt krachender Elektronik-Sound ein. Eine nackte Frau (Tamar Shelef) betritt kurz die nur sehr schwach beleuchtete Bühne und verteilt Farben auf dem Boden, diverse Lachen. Sie erscheint wieder, ihre Körperfront bedeckt nun eine lange schwarze Schürze. Aus der hintersten Ecke heraus beginnt sie langsam, sich die Bühne zu erschließen. Sie pumpt mit den Schultern, kriecht am Boden. David Wampach erscheint, fast nackt, mit einem schwarzen Gummihandschuh über seine Genitalien gestülpt, die er zwischen seinen Beinen nach hinten klemmt. Er wedelt mit seinem fünffingrigen Schwanz, tänzelt amüsiert. So beginnt ein Reigen von ständigen Auf- und Abtritten der zwei Akteure.
Sie taucht ihre Haare in eine der Farb-Lachen und schlägt ihren Pferdeschwanz wie einen Pinsel an die Rückwand. Im orangefarbenen Licht (gestaltet von Nicolas Boudier) erscheinen die „Pinsel“-Striche gelb. Langsam wechselt die Farbe des Lichts gen weiß und enthüllt die eigentliche Farbnatur: rot. Der so empfohlene Perspektivenwechsel verspricht verblüffende Erkenntnisse.
Er kommt von hinten, mit riesigen Handschuhen und einem Lendenwickel aus Schwammartigem, und schiebt sich bäuchlings durch eine blaue Lache quer über die Bühne, beschmiert mit seinem Körper Boden und Rückwand. Gut, ultramarin ist es nicht ganz, aber die Anthropometrien des Yves Klein sahen Ende der 50er wohl auch etwa so aus.
Sie kommt von hinten, in Shirt, Leggings und Filzstiefeln, nun vollkommen coloriert, er lässt sich mit dem Gesäß klatschend in eine Lache fallen, sie rutschen im Matsch, glitschig ist geil. Sie färben sich und mit sich Boden und Wand, er lässt aus einem Eimer grüne Farbe von oben die Wand herab rinnen.
Die Musik von Gaspard Guilbert wandert von Elektronik-Sound über Zitate der Wiener Klassik, einen Song mit Kinderstimmen, über Vokals verschiedener Couleur, auch japanisch ist dabei, zu trance-artigen elektronischen Klängen, die zum Ende hin in eine rhythmusbetonte, beinahe hypnotische Bigband-Komposition münden. Wunderbar!
Der scheinbar infantile Spaß auf der Bühne überträgt sich. Doch Vorsicht! Das Bewegungsmaterial verändert sich mit zunehmender Dicke der Farbschichten auf Körpern und Flächen. Anfänglich noch unsicher Tastendes, Suchendes, ehrlich gelebte Verletzlichkeit und Verletzung, wird zu grotesker Zurschaustellung von leerer Hülle. Wampach persifliert die allgegenwärtige verlogene Selbstdarstellung. Je mehr das Reine, Ursprüngliche verdeckt wird, verloren geht, umso aggressiver kehrt er den eitlen seelischen Galan nach außen. Der Drang nach Differenzierung, nach Einzigartigkeit und nach tatsächlich gefühlter Liebe zerfließt in Konstrukten unreflektierter, dafür aber umso dicker aufgetragener Pseudo-Identität.
„Endo“ ist eine vielschichtige und vieldeutige Arbeit, die wegen ihres humor- und lustvollen Umganges mit dem Material und durch ihre akustisch wie visuell assoziationsreiche Fülle beeindruckt, beißend ironisch und radikal zugleich.
Am Ende, die Bigband spielt immer noch, sieht die Bühne aus, als hätten auch Pollock und Tapies noch kurz vorbeigeschaut ...
„Endo“ von David Wampach und Tamar Shelef am 24. Jänner im Tanzquartier Wien, Halle G