Im Rahmen seines mehrwöchigen Themenschwerpunktes „Material Worlds“ zeigte das Tanzquartier Wien mit „Blab“ von Sonja Jokiniemi und „and and“ von Lisa Hinterreithner zwei Arbeiten, die erst in eine bizarre Welt von Dingen und Menschen, dann in eine performative Untersuchung von Zugehörigkeits-Konzepten entführen. Die eine spielt, als wäre Sprache noch nicht erfunden, die andere stellt Text ins Zentrum.
„Blab“: Die Dinge als Ko-Performer
Eine hell erleuchtete Bühne und elektronischer Sound empfangen die Besucher der Halle G. Links und hinten hängen drei großformatige, formalistisch-gegenständliche Abstraktionen, Explizites in kräftigen Farben gemalt (von Sonja Jokiniemi). Auf der Bühne und über ihr liegen und hängen große und kleine verschnürte textile Objekte mit Ketten, Balken, Rohren, Pferdeschwänzen, Seilen. Die drei PerformerInnen, ein Mann und eine Frau in durchscheinendem Netzgewand, er schwarz, sie weiß, eine Frau in hautfarbenem Ganzkörper-Latex, betreten aus dem Auditorium heraus die Szene. Sie erforschen die Dinge, verschieben, verlegen und verändern sie, auch die dritte Dimension erhält Bedeutung. Sie lassen in der Stille das Rasseln der Ketten hören, das Blasen durch ein Rohr, sie leben die orale Phase. Sie zerren und reißen an den Dingen, auch zu dritt, wie im Kampf um ein „Etwas“, drapieren sich und die Bühne mit Tüchern und riesigem Bart, agieren mit den undefinierbaren Objekten in wechselseitiger Dominanz.
Vorsicht in der Bewegung dynamisiert sich, wird schließlich zu Tanz, der zu verfremdeten, auch wie Löwengebrüll klingenden Vokalismen in kantige Spasmen mündet. Die Frau im Latex-Overall spritzt ihren Schweiß um sich, ihr Gesicht verfärbt sich Besorgnis erregend rot, ich beginne um ihr Wohlergehen zu fürchten …
Die in Helsinki lebende Tänzerin, Choreografin und bildende Künstlerin Sonja Jokiniemi, übrigens ist auch der Sound von ihr konzipiert und produziert, ein wahres Multitalent also, schafft in „Blab“ (etwa „Gebrabbel“) ein Setup, in dem die Grenze zwischen Objekt und Mensch verschwimmt. Es ist wie ein emanzipatorischer Prozess, der dem Ding Macht verleiht.
Die spröde Poesie dieser Arbeit, ihre konsequente Indifferenz, eine archaisch anmutende Artikulation in Bewegung, Laut und Sound, die sich erst spät offenbarende tänzerische Qualität der drei menschlichen Akteure und die kraftvolle Visualität und Akustik beeindrucken.
„and and“ von Lisa Hinterreithner
Der Himmel hängt voller Plastik-Säcke. Schwarze, geschnürte, fremdartige Wesen mit Schwänzen und Rüsseln, einige gepunktet, die da beinahe bedrohlich über uns hängen. An den Wänden kleben Reihen von Schnipseln, auch einen Teil des Bodens bedecken sie. Wir haben die Zeit, es zu erforschen und wirken zu lassen, bevor die beiden Performerinnen Lisa Hinterreithner und Linda Samaraweerová die Szene betreten, in enge dunkle Lackhosen und weiße Trainingsjacken gekleidet. Zum live erzeugten Elektronik-Sound von Elise Mory, von verspielten Solostimmen bis rhythmisch akzentuiert, kleben sie sich Schnipsel auf die Knie, Beine, Schuhe, Ellbogen, Hände, sich selbst und gegenseitig markierend. Sie prüfen, ob die gesprenkelte Hand mit gepunkteten Flächen an der Wand harmoniert. Liegend beginnen sie, sich zu befragen. „Linda, zu welcher Gruppe gehörst du?“ Feministin, Proletariat, Buddhistin, Mittelklasse, Opfer von Beleidigungen sind sie. Sie reden über Matriarchat und Patriarchat, Politiker wie Trump und die EU, über sich selbstorganisierende Organisationen, die instrumentalisiert und verstaatlicht werden, über die Familie als Model der patriarchalischen Gewalt-Ausübung. Sie kleben an der Wand ein paar Schnipsel um, auf dass Lesbares entsteht: „Fuck off model“, You funny fucker I am so tired of this tension“, „virgin or whore“ und konzentrieren die gefleckten Areale auf Haufen. Das kalte Neonröhren-Licht wird wärmer. Sie sprechen über Liebe, Begehren und Loyalität. Sie fordern mehr Optimismus, weniger Pessimismus. Zum Ende hin bekleben sie sich in einer zu langen Sequenz mit vielen Fleckchen vom Boden.
Alles beginnt mit harmlosen Fragen und Bekenntnissen. Identitätsstiftende Zugehörigkeiten und, wenigstens partiell, deren Produkte werden angedeutet. Hier geht es um hochaktuelle Entwicklungen, so um die zunehmende Verdrängungsangst und die Konzepte dagegen. Exklusivität erzeugt Exklusion, in der man Schutz sucht vor dem, was man damit erschafft, dem „Anderen“. Dieses Stück ist ein leise, fast zärtlich formulierter Weckruf, antidemokratischen und populistischen Tendenzen und Entwicklungen, in uns selbst wie in der Gesellschaft, sehr aufmerksam und wachsam gegenüber zu sein.
„Blab“und „and and“ am 1. Februar im Tanzquartier Wien