Die Halle G im Museumsquartier war auch bei der zweiten Vorstellung des Cullbergbaletten in Ian Kalers „On the Cusp“ ausverkauft. Der Zuschauerraum im WuK musste am dritten und letzten Tag des Festivals für Zeitgenössischen Zirkus mit zusätzlichen Plätzen ausgestattet werden. Mit attraktiven, sehr unterschiedlichen Programmen haben die beiden Spielstätten das neue Jahr eingeleitet.
Ian Kaler und das Cullbergbaletten
Repertoirecompagnien sind eher eine aussterbende Gattung, zumindest sind in den letzten Jahrzehnten kaum neue entstanden (die jüngste von internationaler Bedeutung dürfte wohl das 2007 gegründete Ensemble Gauthier Dance in Stuttgart sein). Das schwedische Cullbergbaletten wurde hingegen bereits 1967 von der Choreografin Birgit Cullberg gegründet und hat mit den Werken von Mats Ek – etwa mit seinen Versionen von „Giselle“ und „Schwanensee“ – Ballettgeschichte geschrieben. 2013 und 2017 war die Compagnie, die Teil der schwedischen Riksteatern ist und ihren Sitz im Dansens Hus in Stockholm hat, mit zwei Choreografien von Jefta van Dinther zu Gast im Tanzquartier. Nun kehrte sie mit der Uraufführung einer Arbeit des österreichischen Choreografen Ian Kaler zurück.
„On the Cusp“ ist ein Gute-Laune-Stück geworden, das mit den unterschiedlichen Persönlichkeiten der PerformerInnen spielt. Gleich zu Beginn, wenn sich die TänzerInnen in Sportdressen im Seilhüpfen üben, wird klar, dass es hier einerseits um physische Herausforderungen und andererseits um das Potenzial zum Scheitern geht.
In unterschiedlichen Improvisationsanordnungen wird diesem Prinzip nachgegangen: die DarstellerInnen hanteln sich entlang einer Mauer cum Kletterwand (Set: Stephanie Rausch), helfen einander glatte Wände zu überwinden und den Mauersims zu erklimmen – Teamwork zählt bei diesen Unterfangen. Auch auf dem Tanzboden entwickeln sich immer wieder spielerische Interaktionen zwischen den Einzelnen, einmal entsteht sogar eine kurze unisono Dance Routine. Was das Stück vermittelt, bleibt der Interpretation der Zuschauer überlassen, denn die einzige Konstante dabei ist die heitere Atmosphäre. (Freilich, die Mauer bietet da allerlei Assoziationsmöglichkeiten.)
Dass dieses lockere Konzept so prächtig aufgeht, ist einerseits den hochkarätigen, jungen TänzerInnen – als individuelle PerformerInnen ebenso wie als bestens aufeinander eingespieltes Ensemble –, andererseits der Musik zuzuschreiben. Motor für die sich dynamisch steigernden Aktionen ist die Synthesizer-Brass-Musik von Planningtorock. Ob mit lyrischer Grundstimmung oder in Momenten, in denen sich der Sound zu Partystimmung hochschaukelt, der treibenden Beat bestimmt das Bühnengeschehen. Dieses wird durch Videoeinspielungen ergänzt: lachende, sichtlich erfreute TänzerInnen unter einem Wasserstrahl, und eine geheimnisvolle Versammlung von Kindern an einem verlassenen Ort sind da zu sehen.
„On the Cusp“ ist ein Paradebeispiel dafür, wie befruchtend die Zusammenarbeit einer Compagnie dieses Kalibers für junge Choreografen sein kann. Hier wird Kalers experimenteller Ansatz professionell und schlüssig umgesetzt. Das Publikum ist dabei nicht passiver Betrachter, sondern muss seine eigene Story finden – spannend!
Zeitgenössischer Zirkus
Drei Tage lang widmete sich das WuK dem Zeitgenössischen Zirkus und und öffnete das Haus damit einer jungen Kunstform. Im Rahmen des Kooperationsprojektes „circus re_search“, an dem drei Organisationen in Österreich, Deutschland und der Schweiz teilnehmen, werden jungen KünstlerInnen an der Schnittstelle von Zirkus und anderen Kunstsparten Hilfestellungen bei Produktion und Verbreitung angeboten. In Wien kuratierte KreativKultur dieses erste Festival.
Im Foyer wird man von einer stimmungsvollen Ausstellung mit Objekten, die von Julian Vogel aus zerbrochenen Diabolos gekittet wurden, sowie von experimentellen Zirkusvideos empfangen. Man ist in einer Welt voller Poesie angekommen.
Diese wird dann im Saal von der Solokünstlerin Ana Jordão „I am (k)not“ weitergesponnen. Die portugiesische Solokünstlerin entwickelt ihre Performance auf Grundlage eines Gedichts von Fernando Pessoa. Über ein Vertikalseil turnt sie zu Boden und löst das Gerät allmählich aus seiner ursprünglichen Funktion. Es wird zum Partner in der Suche nach einer Identität und erzählt gleichzeitig vom ambivalenten Verhältnis von Zirkusartistin zu ihrem Equipment. Es ist eine Beziehung zwischen Kampf und Intimität. Immer wieder wird das Seil auseinandergenommen und zu unterschiedlichen Formen neu gefaltet, geschlichtet, aufgerollt. Es wird zum Gefängnis, zu einem Zuhause, zu einem Schal, zu einer Schlange, zu einem Widersacher oder einem Objekt voll Behaglichkeit und Zärtlichkeit. Zusammen mit der Künstlerin verkörpert es die Zustände, die im Gedicht „Tabakladen“ angesprochen werden – Freude, Trauer, Zweifel … und Schokolade, die die Performerin ans Publikum verteilt: „Es gibt nur eine Metaphysik, die der Schokolade“, heißt es da.
„I am (k)not“ könnte aber auch ein visuelles Poem über einen gefallenen Engel mit einfachem Ticket sein. Am Ende, wenn sich Jordão um die eigene Achse dreht, verwandelt sich das Seil zu Flügeln, bevor sie im schwarzen Vorhang verschwindet. In jedem Fall ist es eine Performance, die durch Intensität und ästhetische Ernsthaftigkeit berührt.
Die zweite Vorstellung am letzten Tag des Festivals war „Fallhöhe“ von Arne Mannott und Elina Lautamäki, eine Performance zwischen Objekttheater und Tanz. Weiße Jonglierbälle geben die Thematik vor, sei es als Objekte, die man vermeiden muss, die man immer wieder neu anordnen kann, die auf unterschiedliche Weise Töne erzeugen, oder in hypnotisierender Jonglage zum Einsatz kommen. Arne Mannott verbindet eine Off-Balance-Körpertechnik mit der Fertigkeit, die Bälle einzufangen. Das Thema der Imperfektion wird hier geschickt von einer Körperhaltung in die Artistik überführt. Einfach und kommentarlos. Was macht es schon, wenn der eine oder andere Ball zu Boden fällt?
Die elegante Direktheit dieser Jonglage-Szene (mit tänzerischer Unterstützung von Lautamäki) vermisst man bei den anderen Teilen der Vorstellung. Als Zuseherin hatte ich das Gefühl, dass das junge Team dem eigenen Konzept nicht ganz traut, und zu vorsichtig, ja, teilweise betulich, agiert. Marleen Moharitsch komponiert den Sound vor den Augen der Zuseher auf der Bühne mit Cello, Stimme und Loop Station, wobei die PerformerInnen auch als AssistentInnen zu Einsatz kommen. Dabei wird etwas krampfhaft nach räumlich und darstellerisch „originellen“ Lösungen gesucht. Auch das Schlichten der Jonglierbälle nimmt zu viel Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch. Die humoristischen Momente, die dabei aufblitzen, könnten ruhig noch ausgebaut werden bevor die nächste Konstellation gesucht wird.
Dennoch: beide Vorstellungen konnten die Magie der Artistik auch in der zeitgenössischen, hybriden Form sichtbar und spürbar machen.
Cullbergbaletten / Ian Kaler „On the Cusp” am 11. Jänner 2018 im Tanzquartier Wien. Zeitgenössischer Zirkus am 12. Jänner 2018 im WuK