Lyrik, gelesen, gesprochen und ganz zart in Bewegung gegossen, die Auseinandersetzung von Mikhail Baryshnikov mit seinem Landsmann und langjährigen Freund Joseph Brodsky ist eine leise, unaufgeregte Sache. Nur ein charismatischer Tänzer wie Baryshnikov kann mit einer derart zurückhaltenden Inszenierung wohl ein Publikum 90 Minuten lang fesseln.
Die dunklen, geheimnisvollen Gedichte erzählen vom Tod, vom Exil, vom Gefängnis und von unendlicher Einsamkeit und spiegeln das Leben des Autors Joseph Brodsky (1940-1996) wider, der, eingesperrt und 1972 aus der Sowjetunion verbannt, in den USA ein neues Zuhause fand. Dort lernte er den Tänzer Mikhail Baryshnikov kennen. Die Freundschaft beruhte auf einer intellektuell-emotionalen Verbindung, denn so der Nobelpreisträger Brodsky: „Ich kann eines sagen: er übte – und übt – einen kolossalen Eindruck auf mich aus. Dabei betrifft das nicht seine Qualitäten als Tänzer, denn in diesem Bereich bin ich gar kein Fachmann.“
Und doch ist es der Tänzer Baryshnikov, der seinen Texten jene beklemmende Dimension gibt, denn aus der Intonation der russischen Gedichte erschließt sich dem Sprach-Unkundigen deren Stimmung nicht (auch wenn die deutsche Übersetzung auf die Bühne projiziert wird). Es sind vielmehr die sorgfältige Wahl der Situationen, die sparsamen szenischen Interventionen, in denen Baryshnikov liest oder rezitiert, die Verständnis generieren. Das Bühnenbild, ein gläsernes Gartenhaus, das nicht nur aufgrund der architektonischen Struktur, sondern auch wegen seiner Dekadenz das Russland eines Tolstoi evoziert, bietet ein ideales Spielfeld. Darin verkörpert der Tänzer einige der Gedichte mit einfachen Bewegungssequenzen, die die Poesie und den Rhythmus der Sprache verdichten. Doch die meiste Zeit sitzt er auf der Bank vor dem Gartenhaus, und liest und spricht die Texte, symbolisiert die Jahreszeiten, indem er nach und nach Kleidungsstücke ablegt oder Sonnencreme aufträgt.
Dass das „funktioniert“, ist der außergewöhnliche Bühnenerscheinung Mikhail Baryshnikovs geschuldet, einem der größten und charismatischsten Tänzer seiner Generation, der nach seiner Flucht aus der Sowjetunion 1974 die westliche Welt im Sturm eroberte. Dabei ist der Ballerino aus Riga nicht nur dem klassischen Ballett verhaftet, sondern feierte Erfolge auch am Broadway und in Spielfilmen. Baryshnikov war Direktor des ABT (American Ballet Theatre) und des White Oak Dance Project, das er 1990 mit Mark Morris als Plattform für zeitgenössischen Tanz gründete. 2005 etablierte er das Baryshnikov Arts Center (BAC) in New York, ein Raum zur Förderung multidisziplärer Kunstprojekte.
Mit dem Projekt „Brodsky / Baryshnikov“ in der Regie von Alvis Hermanis stellt er erneut seine Vielseitigkeit unter Beweis. Die Produktion, mit der er seit 2015 weltweit unterwegs ist, wurde auch in der ausverkauften Halle E im Museumsquartier mit begeistertem Beifall aufgenommen.
„Brodsky / Baryshnikov“ am 17. März 2019 im MQ Wien. Das nächste Gastspiel findet am 21. und 22. März im SND Slovakischen Nationaltheater in Bratislava statt.