2017 auf der Documenta 14 in Athen uraufgeführt, fühlt sich das Stück „Private Song“ von Alexandra Bachzetsis fast an wie ein Ausflug in warme, sonnige Erinnerungen an den letzten Griechenland-Urlaub. Es wird gesungen, getanzt und geliebt. Doch sie kämpfen auch und machen Leibesübungen. Und da wird klar: Das hier ist keine seicht-romantische Assoziations-Krücke für „Ach, war das nicht schön?“.
Schon die erste Szene ist ein Statement. Alexandra Bachzetsis lässt ihr bodenlanges, hochgeschlossenes, hautenges schwarzes Latex-Kleid von einem Zuschauer mit Glanz-Spray besprühen. Und präsentiert sich dann auf der Bühne mit kühlem Stolz, schön und sexy. Sie ist Griechenland, das erst gemeinsam mit uns Europäern zu vollem Glanze sich entfalten kann.
Umgezogen, nur mit sportiven Regenhosen bekleidet, ringt sie mit Sotiris Vasiliou, einem ihrer zwei Ko-Performer. Sie unterbrechen immer wieder für kräftigende Ertüchtigungen. Fitness für die anstehenden Herausforderungen.
Im etwas zu großen Männeranzug den Rembetiko tanzend durchbricht sie die darin verankerte traditionelle Rollen-Zuschreibung (Männer machen Musik, Frauen tanzen und singen) und damit auch jene Trennung zwischen geistiger Schöpfung und körperlicher Repräsentation, zwischen Denken und Fühlen. Und sie bricht ein in die patriarchalisch geprägte Gesellschaft, um dann von ihrem kongenialen Kollegen Thibault Lac zeitgenössisch tanzend begleitet zu werden. Weil dieses Land nicht stehen bleibt.
Zu dritt und gar nicht scheu geben sie sich homo- und heteroerotischen Zwei- und Eindeutigkeiten hin, mit solch konsolidierter Selbstverständlichkeit und unaufdringlicher Ästhetik, dass manch „höher entwickelte“ westliche Kultur nur staunen kann. Ja, sie sind schon lange angekommen im Hier und Heute.
Mitten im riesigen Raum, entstanden durch das Öffnen des üblicher Weise die Bühne hinten abschließenden Vorhanges, sitzt sie verloren, mit von einem Haarteil verdeckten Gesicht, breitbeinig und wie rücklings vor uns und singt: „Ein weiteres Häufchen Kehricht in der krummen Gasse des Lebens.“ Die sechs in die Performace eingeflochtenen melancholischen, Trennung, Abschied und Verlust besingenden Lieder des Rembetiko, des „griechischen Blues“ (das griechisch-englisch-deutsche Song-Book fand jeder Besucher auf seinem Sitz vor, Mitlesen erwünscht), der seine Ursprünge in der Subkultur der 1922 aus Kleinasien auf das griechische Festland Vertriebenen hat, und dessen entstehungshistorischer Hintergrund sind Metapher genug. Ich sehe die aktuellen Bilder der vielen Obdachlosen in Athens Straßen, die Schlangen vor der Armen-Speisung und die Traurigkeit und Verzweiflung in den Gesichtern dieser entwürdigten Menschen vor mir. Suizid ist die immer häufiger erwogene, weil einzig noch denkbare Lösung. Und ich schäme mich entsetzlich.
Übrigens: Im Verlauf der Performance tauschen sie wie beiläufig die Jacken oder hängen sie einem Anderen um. Denn Perspektiven zu wechseln fördert Einsicht und Erkenntnis.
Am Ende legt Thibault Lac, nur noch allein auf der Bühne, den zweiteiligen Bodenbelag aus wie eine lange Straße in die Tiefe der Halle G und tanzt, von dort hinten langsam auf das Publikum zukommend, kurze Sequenzen traditionell-griechischen Tanzes. Es ist ein langer Weg für Griechenland in eine bessere Zukunft, und es ist ein langer Weg zurück nach Europa. Aber die Griechen kommen, aufrecht. Und im Gepäck haben sie ihre Kultur, ihre Traditionen, ihre Schönheit, ihre Kraft und ihren Stolz.
Insbesondere von den beiden Männern gerade in Duett wundervoll gesungene Lieder, tänzerisch und darstellerisch brillant ist „Private Song“ eine poetische, bescheiden-kraftvoll metaphorische und subtil subversiv dargebrachte Anklage. Diese Bühne ist ein temporärer Ort, an dem sie sein können, ganz selbstverständlich in ihrer Trauer, ihrem Mut und ihrer Zuversicht und unbedrängt von gesellschafts- und finanzpolitischen, von kulturellen, traditionellen und individuellen Zwängen. Am Ende aber machen sie sich doch auf den Weg ...
„Private Song“ von Alexandra Bachzetsis, gezeigt am 5. April im Tanzquartier Wien, Halle G.