Seit Beginn dieser Saison ist Beate Vollack Ballettdirektorin am Opernhaus Graz. Nun präsentiert sie hier ihr erstes großes Ballett für die bis auf drei Tänzer neu zusammengesetzte Kompanie des Hauses: „Die Jahreszeiten“ nach dem gleichnamigen Oratorium von Joseph Haydn als Koproduktion mit dem Theater St. Gallen, wo sie seit 2014 Leiterin der Tanzkompanie ist.
Die Choreografie wird insbesondere von der unterhaltsamen, lebensfrohen Fabulierfreude Vollacks getragen: Sie transferiert den Ort der Handlung in ein Kunstmuseum, in dem sich tänzerisch zum Leben erweckte Gemälde immer wieder neu zu realisieren beginnen; im Kreislauf der Natur und offen für jede Fantasie, Assoziation oder Erinnerung, für jedes wunschvolle Sehnen und Träumen oder aber auch für Kunstvermittlung – „jedes Jahr wieder“ (Angabe zu Zeit des Geschehens im Programmheft) ein neues, ein anderes Spiel in verteilten Rollen.
Ein kreatives Konzept, das nicht zuletzt der Vielfalt des musikalischen Parts der Produktion – kraftvoll und feinsinnig geleitet vom stellvertretenden Chefdirigenten Robin Engelen – grundsätzlich entspricht: Dem musikalisch breiten Spektrum der Stile wird auch im Tanz eine Formensprache vom Klassischen bis zu Zeitgenössischem an die Seite gestellt.
Dass Vollacks künstlerisches Herz für das Ballett schlägt, ist dabei ausnahmslos erkennbar. Dass es ihr bei den episodenartigen Szenen vor allem um Darstellung von Emotionen und Stimmungen geht, ist ein weiterer, charakteristischer Faktor neben ihrer Intention, mit visuell Schönem Freude zu bereiten; immer wieder auch zusätzlich aufgelockert durch kleine Späße (überstrapaziert in der Maske der Schafe) oder etwas Ironie (gelungen bei der Thematisierung von Definition von Kunst anhand eines „bestaunten“ Bildes).
Die tänzerische Erzählform Vollacks ist hier von ästhetischem, wohltuend-herzerwärmendem, sich wiederholendem Fluss geprägt, die allerdings selten überrascht oder gar provoziert. Insbesondere im ersten Teil der Choreografie, im Frühling und Sommer, wünscht man sich in der Bewegungssprache und bei Ensembleszenen mehr an markanter, an ein wenig kantig-aufrüttelnder Vielfalt, die Ausdruckskraft und damit Vermittlungsinhalte zum Aufhorchen und Nachdenken anböte. Auch verringert und ermüdet der oftmals überdeutliche, durch Requisiten noch zusätzlich „erklärte“ Realismus die Aufmerksamkeit.
Dazu im Gegensatz ist insbesondere die abschließende Szene in Schwarz als abstrakt anregendes, interpretationsoffenes Beispiel anzuführen. Damit im Zusammenhang auch die Idee, die Endlosschleife der Jahreszeiten, des Weltengeschehens weiterlaufen zu lassen, indem an den originalen Schluss wieder die Ouvertüre angehängt wird und im Museum die winterlich verschlafene Arbeit zu neuerlichem Leben erwacht.
Als kreativ sind immer wieder die Bezüge zwischen inhaltlichem Tanz-Geschehen und dem Text des Librettos anzuerkennen sowie als fast ausnahmslos nahtlos gut die Übergänge zwischen den einzelnen Szenen.
Ein besonders einfallsreiches Feingefühl wird im Zusammenspiel der drei Sänger und der Tänzer bewiesen. Diese enge Vernetzung der Sparten begeistert ausnahmslos und ist neben ihrer konzeptuellen Anlage auch auf das anpassungsfähige, darstellerisch Können der drei Sänger – wandlungsreich bühnenpräsent: Mirella Hagen, in jeder Rolle glaubhaft: Tenor Martin Fournier sowie auch Bass Neven Crnić – zurückzuführen. Ein Können, das sich aber selbstverständlich insbesondere in ihren musikalischen Interpretationen großartig manifestiert.
Dass der Chor unter Bernhard Schneider auf der Bühne agiert, also zu sehen ist, entspricht stimmig der spartenübergreifenden Absicht Vollacks. Allein, so musikalisch gut und lokal originell sein jeweiliges „Auftreten“ in den Bilderrahmen des Bühnenhintergrunds auch sein mag, so wenig ist es letztlich atmosphärisch stimmig. Ganz zu schweigen von dem dadurch gegebenen unruhigen, von den Tänzern ablenkenden (unbeabsichtigten) Effekt.
Und genau das haben eben diese Tänzer nicht verdient. Nicht, wenn sie in Ensembleszenen zeigen, dass sie schon jetzt gut und mit Begeisterung aufeinander eingespielt sind: In der Synchronität wie auch im exakten Reagieren in manch schwungvoll bunter (manchmal etwas zu bunter) Szene des „Lebens-Trubels“. Und auch nicht, wenn sie ahnen lassen, dass ihre tänzerische Bandbreite noch ein gehörig Stück über die ihrer harmonisch (zu) viel bewegten Arme hinausginge. Und erst recht nicht, wenn sie in kleinen oder größeren Soli mit ihrem Potential brillieren: Der Gelenkigkeit von Martina Consoli wird in ihrem Schlangensolo zwar noch nicht ausreichend choreografisch Vielfalt geboten, aber das wird sich in anderen Rollen hoffentlich noch ändern; Lucie Horna hingegen kann als Haydns Security ihre intentionale Kraft einprägsam über die Rampe bringen und die den Grazern schon bekannte Miki Oliveira lässt die Stärke ihrer Grazie als Muse faszinierend spielen.
Mehrfach beeindrucken die Männer mit gekonnter Sprungkraft. Im Speziellen überzeugen Paulio Sóvári als geschmeidiges „Sommergefühl“, vulgo Liebesträumerei, Enrique Sáez Martínez als sinnlicher Macho-Bacchus und Philpp Imbach als überaus bühnenpräsenter Reitersmann.
Ballett der Oper Graz „Die Jahreszeiten“, Premiere am 27.April, 2019 im Opernhaus Graz. Weitere Vorstellungen am 5., 8., 12., 15., 17., 24. Mai, 15. Juni