Tanz und Musik beleben sich gegenseitig. Das ist nicht neu. Die Konsequenz jedoch, mit der Andrea Nagl in ihrer jüngsten Arbeit diese symbiotische Beziehung mit Leben erfüllt, ist beeindruckend. Zur elektronischen Musik von Karlheinz Essl und zum bisweilen verfremdeten Klang von Spielzeug-Klavieren, gespielt und live bearbeitet von Isabel Ettenauer, entstand eine musikalisch-tänzerische Konversation in fünf Akten.
Die zwischen 2005 und 2015 entstandene Musik des Komponisten Karlheinz Essl und der international tätigen österreichischen Pianistin und Toy-Piano-Virtuosin Isabel Ettenauer und der ausdrucksstarke, hochprofessionelle und in seiner Formensprache reiche zeitgenössische Tanz der Wiener Choreografin, Tänzerin und Tanzpädagogin Andrea Nagl verbinden sich in „LamenToys“ zu einem poetischen, zuweilen berührenden Ganzen,
Die ehemalige jüdische Turnhalle im Brick-5 ermöglicht, ja erzwingt nachgerade wegen ihrer zwei mächtigen Säulen im Zentrum ungewöhnliche Raumkonzepte. Andrea Nagl legte ihre Performance an wie eine Wanderung durch fünf Areale, der vom Publikum gefolgt werden muss.
Der erste Teil, „Kalimba“, so benannt nach dem afrikanischen Lamellophon oder „Daumen-Klavier“, setzt den Quintenzirkel, die Beschreibung des Zusammenhanges der Dur- und Moll-Tonleitern, in strenge, geradlinige und abstrahierende Bewegung um. Auf dem Toy-Piano, welches statt Saiten angeschlagene eiserne Stäbe zur Klangerzeugung nutzt und dem entsprechend metallisch-unrein klingt, spielt Isabel Ettenauer Tonfolgen, die sie elektronisch loopt und überlagert.
Ein gelber, innenbeleuchteter Glaskopf ist das metaphorische Zentrum des zweiten Teils, „Tristan's Lament“. Sie trägt den Kopf in ihren Händen, bewegt sich sparsam durch den dunklen Raum, während die elektronische Musik glissandoreich ihr Heben und Senken begleitet. Und am Ende setzt sie sich, vornüber gebeugt hockend, den Kopf auf ihren Nacken. Wie eine kultische Anbetung des Ratio, leiser Spott inklusive.
Benannt nach einem japanischen Automatenspiel geht es in „Pachinko“ hoch her. Das kleinste der drei eingesetzten Toy-Pianos und der Computer wetteifern mit der Tänzerin um die spielerischste Attitüde. Wie Live-Improvisationen wirken Sound und Tanz, sie lassen den Spaß an akustischen und Bewegungs-Experimenten, die Freude am Dasein spüren.
Im „Mozart-Lamento“ benutzt Karlheinz Essl orchestrales Material, verfremdet es, lässt es ab- und aufstrebend „gleiten“. Das Klavier wird durch die auf den Saiten platzierte Box zum Resonanz-Raum. Ein als Negativ eingespieltes Video zeigt Andrea Nagl im Schulterstand vor einem Spiegel, langsam sich bewegend. Die „Echte“ liegt lange still davor, entsteigt dann dieser Ruhe. Wandlung? Läuterung?
Zufällig trafen das kürzliche Ableben von Doris Day und die Verwendung ihres Hits im letzten Teil „whatever shall be“ zusammen. Toy-Piano, Dreidel, elektronische Effekte. Und am Ende klimpert eine aufziehbare Music Box im Piano „Che sara“. Andrea Nagl bewegt sich frei im Raum, mischt Klarheit und Spiel im warmen Licht. Markus Wintersberger (auch: Raum und Projektion) setzt mit seiner Beleuchtungsregie gezielte, stimmungsprägende Akzente.
Die erste und einizige Aufführung von „LamenToys“ wurde vom Publikum begeistert gefeiert.
Das W.A.L.Z. Perfomance Collective „LamenToys“ am 17. Mai 2019 im Brick-5