Mit „The Contemporaries – Im Hier und Jetzt“ (Vol. 2) gab das Landesjugendballett Berlin, die jüngste und größte Compagnie Deutschlands ein Gastspiel im Rahmen der 1. Tanzwoche, die – initiiert von Mauro de Candia und Patricia Stöckemann, Leiter und Managerin der Dance Company des Theaters Osnabrück – von 16. bis 22. Juni im Jugendstil-Theater am Dom stattfand. Ein stehend applaudierendes, hörbar begeistertes Publikum wollte diese jungen Tänzerinnen und Tänzer einfach nicht von der Bühne lassen.
Es lag nicht nur an der Auswahl der Stücke. Es ist vor allem die Intensität und Expressivität, mit der diese präsentiert werden. Dahinter stecken Idee und Konzept. „Als wir vor gut zwei Jahren das Landesjugendballett an der Staatlichen Ballettschule Berlin gegründet haben“, so deren Direktor Ralf Stabel, „stand uns als Ziel vor Augen, unseren Schülerinnen und Schülern viel mehr und sehr unterschiedliche Auftritte zu ermöglichen, um ihnen die für den Beruf notwendige Bühnensicherheit zu vermitteln und das Bewusstsein, auf der Bühne immer als professionelle Tänzerin und Tänzer zu agieren – unabhängig von ihrem Alter.“
Ganz offenbar funktioniert das sehr gut. Schon das erste Bild in Wayne McGregors Choreografie „Far“ (Excerpt) nimmt gefangen: Vier Fackelträgerinnen streben aus der Mitte der Bühne in deren Ecken, öffnen damit einen Raum und fokussieren gleichzeitig den Blick des Zuschauers hinein. Ein Paar betritt ihn zuerst, scheint diesen neuen Rahmen für sich zu testen. Anfangs dicht beisammen, mit immer längeren Wegen zurück zueinander … Wie sich nicht verlieren in dieser werdenden Weite? Wie lange noch ist dieser mein Körper funktions-tüchtig, scheint sich dagegen der Mann im folgenden Solo resignierend zu fragen, Stück für Stück prüft er sein „Equipment“, die Bewegungen schon eher von einer Maschine als noch menschlich. Überrascht und staunend sieht sich die nächste Gruppe Tänzer dann immer neuen Einflüssen ausgesetzt, die wie Wellen an ihre Körper branden und sich in ihnen fortsetzen. Sie müssen prüfen, aushalten, Wege suchen und schon rollt die nächste Welle an… Nur mühsam gelingt es den Individuen in der nächsten Szene neben ihren Egotrips wenigstens kurze Symmetrien mit anderen zu schaffen, fragile Bindungen herzustellen. Ein letztlich doch entstehender und nur mit großer Anstrengung zusammengehaltener Kreis wird schnell gesprengt. Alle fliehen wie schuldbewusst, aber zumindest fliehen sie in dieselbe Richtung.
Ein passendes Repertoire zu finden für Tänzerinnen und Tänzer in der Pubertät ist schwer. Aus der „Kindermazurka“ sind sie längst herausgewachsen, im „Dornröschen“ noch nicht angekommen. Mit „Meninos“ von Mauro de Candia haben sie ein Stück, das hemmungslos Schabernack treibt mit dem Mythos des Toreros, das die jungen Tänzerinnen und Tänzer ganz offensichtlich mit sprühender Freude genießen und mit dem sie den Abend um unbefangen Spielerisches und Situationskomisches ergänzen.
„All long dem day“, das einer der international gefragtesten Choreografen, Marco Goecke, als Uraufführung für diese Schule geschaffen hat, ist einfach phänomenal. Zu Nina Simones Gospelsong vom „Sinnerman“, dem Sünder, interpretieren die Tänzerinnen und Tänzer dessen Seelenqualen souverän in Goeckes typischer Tanzsprache, die buchstäblich atemraubende Effekte erzielt: diese stechend zackigen, zitternden Bewegungen in rasendem Tempo verzerren die Körper oder bringen sie gar zum Leuchten.
Wie eng verwandt genial und einfach sind, zeigt zum Abschluss des Abends „Die Zukunft beginnt jetzt“ in der Inszenierung von Gregor Seyffert, dem Künstlerischen Leiter der Staatlichen Ballettschule Berlin, zur Musik von Maurice Ravels „Bolero“. Auf so selbstverständliche wie beeindruckende Weise wird hier das Wachsen und Werden von Tänzerinnen und Tänzern präsentiert. Sitzt am Anfang ein kleines Mädchen allein im Scheinwerferlicht bei den Vorbereitungen zum Unterricht, sind am Ende Schülerinnen und Schüler aller Jahrgänge gleichzeitig bei ihren verschiedenen Exercises zu sehen. Musik, Choreografie und die Ausstrahlung der jungen Tanzenden verfehlen hier ihre Wirkung nicht – das Publikum lässt sich gern hin- und mitreißen.
Nach den diesjährigen Stationen in Deutschland und Auftritten im Ausland – so im Kreml-Palast in Moskau und im Lincoln Center in New York – geht es in Kürze auf Tournee durch Mexiko und anschließend nach Peking. Zur Gründung wurde dem Landesjugendballett Berlin der Titel „Kulturbotschafter des Landes Berlin“ mit auf den Weg gegeben. Dieser Aufgabe werden sie auf herausragende Weise gerecht.
Landesjugendballett Berlin „The Contemporaries – Im Hier und Jetzt“ (Vol. 2) am 16. Juni im Theater Osnabrück. Letzte Vorstellung des Gastspiels des Landesjugendballetts Berlin in Osnabrück "Tanzgala 18/19" am 22. Juni