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Luminous iconMit einer vierstündigen Nurejew-Gala und diversen Avancements ging auch in diesem Jahr die Saison des Wiener Staatsballetts zu Ende. Das Gala-Programm war bunt gemischt und brachte choreografische sowie tänzerische Überraschungen. Das Publikum bejubelte die grandiosen SolistInnen, einige Gäste, eine insgesamt sehr gut aufgestellte Compagnie sowie das Orchester unter der dynamischen Leitung von Kevin Rhodes.

Wie sich die choreografischen Vorstellungen seit dem letzten Jahrhundert verändert haben, führte dieser Abend ebenfalls vor Augen. Jüngstes Beispiel war der leidenschaftliche Pas de deux „Luminous“ von András Lukács, der im Mai seine Uraufführung in Ljubljana hatte. Für die gewagten Kombinationen muss das Paar präzise aufeinander abgestimmt sein, denn es geht an Grenzen der Partnerarbeit. Nina Tonoli und Jakob Feyferlik winden ihre Körper mit atemberaubender Geschwindigkeit um- und ineinander, überwinden rasant extreme Fallhöhen und gleiten über den Boden als wären sie auf Rollen. Das kommt dem Fliegen schon sehr nahe. Lukács, der nach wie vor im Ensemble des Wiener Staatsballetts tanzt, hat diese Variation zu einer Musik von Max Richter kreiert und sich erneut als innovativer und sehr musikalischer Choreograf in Erinnerung gebracht. Sicherlich ein markantes Highlight des Abends! Nina Tinoli wird ab nächster Saison beim Het Nationale Ballet in Amsterdam tanzen. Die Solistin des Wiener Staatsballett hat hier im Laufe der Jahre eine Fangemeinde gewinnen können, die sie mit stürmischem Applaus verabschiedete. TroisGnossiennes

Während András körperliche Extreme sucht, choregrafierte Hans van Manen neoklassisch entlang musikalischer Linien. Ein Beispiel dafür sind „Trois Gnosiennes“, getanzt von Olga Esina und Roman Lazik, ein Stück, bei dem die Musik auch szenisch zum zentralen Element wird: drei Tänzer schieben das Klavier samt Pianistin (Laurene Lisovich) durch den Raum ohne sich in den Pas de deux einzumischen.

Rudolf Nurejew folgt bei „Romeo und Julia“ zwar dem Stil von Kenneth McMillan oder John Cranko, kommt aber nicht an deren choreografische Logik heran. Wenn ein Choreograf zu kompliziert denkt, wird die Umsetzung umständlich und die Emotionen bleiben auf der Strecke, Das ist zumindest bei diesem Pas de deux passiert – trotz des engagierten tänzerischen Bemühens von Ioanna Avraam und Robert Gabdullin.

CantataDagegen spiegelt „Cantata“ von Mauro Bigonzetti das ganze Spektrum partnerschaftlicher Beziehungen: Eno Peci und Alice Firenze verkörpern das Wechselspiel aus Leidenschaft, Eifersucht, Streit und Versöhnung mit furiosem Einsatz.Ochiba

Patrick de Bana hat Alessandro Bariccos Roman „Seide“ als Anregung für sein Stück „Ochiba“ gewählt. Die musikalische Erzählung des italienischen Autors setzt de Bana zu Klaviermusik von Philip Glass (gespielt von Shino Takizawa). Das komplexe Gefühlsspektrum der literarischen Vorlage im Stil der Minimalismus erreicht die kurze und reduzierte Choreografie aber nicht, auch wenn sie von Ballettchef Manuel Legris höchstpersönlich getanzt wird. Die Sprachlosigkeit zwischen dem Mann und der Frau (Nina Poláková) wird hier zu beziehungslosem Pathos. Baricco beschrieb hingegen eine besondere Form der Liebe.

FledermausVladimir Shishov gab an diesem Abend seine Abschiedsvorstellung von der Bühne. Der Erste Solist widmet sich nunmehr ganz der Ballettpädagogik in der Ballettakademie (wohin auch die Halbsolistin Alena Klochkova wechselt). Noch einmal war er in einem Duett aus „Die Fledermaus“ (Roland Petit) mit seiner langjährigen Partnerin Olga Esina zu sehen.Dornroeschen

Ein weiterer Glanzpunkt war die Entdeckung von Navrin Turnbull, der die Variation des Prinz Désiré in „Dornröschen“ in der Version von Rudolf Nurejew tanzte. Der junge Australier, der 2018 zum Wiener Staatsballett kam, besticht durch seine elegante Linie und seinen lyrischen Ausdruck. Zu Recht wurde dieses Nachwuchstalent an diesem Abend aus den Reihen des Corps in den Rang des Halbsolisten befördert.

JockeyDanceArne Vandervelde wurde diese Ehre ebenfalls zuteil, auch wenn er an diesem Abend bei „Coppélia“ als Verlobte im Vergleich zu Scott McKenzie (der im letzten Jahr Halbsolist wurde) etwas verloren wirkte. In Bournonvilles Jockey Tanz gab er hingegen – zusammen mit Dumitru Taran – eine tadellose Performance.Delirienwalzer

Natascha Mair bewies ihre unglaubliche Vielfältigkeit auch bei dieser Gala wieder: Sie verkörpert die Essenz der klassisch-romantischen Ballerina und spielt im modernen Repertoire die nötige, selbstbewusste Attacke aus: sei es als Swanilda in „Coppélia“, an der Seite von Davide Dato in Roland Petits „Delirienwalzer“ oder Forsythes „Artifact Suite“. In letztem erwiesen sich Madison Young und James Stephens als zweites Solopaar durchaus ebenbürtig. Grund genug, um Young wurde an diesem Abend zur Solistin zu befördern.

TalismanDie Gäste des Abends präsentierten sich als Meister der Klassik. Der gebürtige Koreaner Youg Gyo Choi ist Erster Solist beim Nationalballett der Niederlande und gab sein Hausdebut an der Wiener Staatsoper an der Seite von Liudmila Konovalova im „Esmeralda-Pas de deux“. Sein Landsmann Kimin Kim, erster Solist beim Ballett des Mariinski-Theaters, überzeugte als großartiger Bravourtänzer mit seiner jungen Compagnie-Kollegin Anastasia Nuikinen im Pas de deux aus „Der Talisman“.Cachucha

Das Jubiläum "150 Jahre Ballett an der Wiener Staatsoper" wurde mit Fanny Elßlers „Cachucha“ (getanzt von Ketevan Papava) gewürdigt. Und die (über)lange Gala wurde mit einem Ausschnitt aus einem neuen Wiener Ballett, nämlich „Sylvia“ von Manuel Legris, beendet.

Wiener Staatsballett: Nurejew-Gala 2019 an der Wiener Staatsoper am 28. Juni 2019

Sylvia