Zum Auftakt bescherte Impulstanz heuer seinem Publikum eine spannende Zeitreise. Nicht nur, weil zwischen der Eröffnungsproduktion, Johann Kresniks „Macbeth“, und den nachfolgenden Stücken – „Tank“ von Doris Uhlich und „Rolling“ von Michael Laub – über 40 Jahre liegen, sondern weil diese jeweils für unterschiedliche Epochen zeitgenössischen Tanzschaffens stehen.
Epochen! Welch großes Wort für eine historisch kurze Zeitspanne. Und doch liegen Welten zwischen Kresniks brachialem, choreografischen Agitprop-Theater, der dystopischen Solo-Performance von Doris Uhlich und dem dekonstruiert-fragmentarischen und doch so amüsanten Theaterkonzept von Michael Laub. Allen dreien ist gemeinsam, dass sie sich keinem spezifischen Tanzstil verpflichtet fühlen.
„Macbeth“: Polit-Blutrausch
Inhaltlich orientiert sich Johann Kresnik bei seiner Version des Shakespearschen Dramas an einem realen politischen Vorfall: die Barschel-Affäre, bei der der deutsche CDU-Politiker Uwe Barschel 1987, also lange vor der Erfindung von Social Media, eine Verleumdungskampagne gegen seinen politischen Gegner fuhr. Nachdem sich die Beweislage gegen ihn verdichtete, wurde er in einer Badewanne in Genf tot aufgefunden. Die Suizid-Version der Polizei wurde angezweifelt, die Todesursache blieb umstritten.
Für den deklarierten Linken Johann Kresnik war die politische Intrige jedenfalls Anlass für ein Macbeth-Drama, in dem die Leichen in Badewannen gelagert werden.
Die Barschel-Affäre mag heute weitgehend in Vergessenheit geraten sein, politische Intrigen dieser Art sind jedoch aktueller denn je. Kresnik versinnbildlicht diese mit viel Blut: der Henker kommt wiederholt auf die Bühne um Eimer mit Eingeweiden in den Orchestergraben zu kippen; aus den Brüsten der Hexen, die Macbeth stillen, quillt rote Milch, Lady Macbeth’s rotes Kleid ist mit dem Lebenssaft getränkt. Als Gegensatz dazu ist der Rest des Bühnenbildes von Gottfried Helnwein in schwarz-weiß gehalten, was auch der Auffassung Kreniks entspricht, der nur wenige Zwischentöne zulässt.
Nichts lenkt ab von Gewalt, Wahnsinn und Raserei, die in plakativen Bildern gebannt werden. In „Macbeth“ sind alle handelnden Personen ausnahmslos korrupt und böse. Macbeth ist hier nicht nur machtbesessen und skrupellos, sondern mutiert sehr bald zu einem kindischen Irren, der die Königskrone gegen eine goldene Narrenkappe tauscht – was ebenfalls durchaus Parallelen zur heutigen politischen Amtsträgern eröffnet. Kurt Schwertsik hat für diese Orgie der Gewalt eine eindringliche Partitur von Klavierclustern komponiert, die von Bela Fischer jr. und Stefanos Vastiletadis im mit Blut gefluteten Orchestergraben gespielt wird.
Die feine Klinge ist Kresniks Sache nie gewesen. Seine Stücke sind Anklage, schreien die gesellschaftliche Brutalität in die Welt, manchmal so laut, dass der Inhalt verloren geht. In dem Blutrausch bleibt eine Szene besonders in Erinnerung: jene der Familie Macduff in einer Kulisse à la Alice in Wonderland mit einem Riesentisch und Sessel, die von Macbeth’s Schergen vergewaltigt und ermordet wird. Wenn die Kinder in ihren bunten Pyjamas tot aus der Schublade hängen, in der überdimensionalen Tasse stecken, keimt in der Zuseherin endlich Empathie auf. Doch die Mehrheit der statischen Arrangements der Machtwillkür berühren nicht, sondern erschlagen die Sinne. Auch der Tanz ist bei Kresnik ein Agitator, ein Mittel zum Kampf. Die Pas de deux der Männer werden mit Messern in den Händen ausgeführt, die wenigen Gruppentänze als formelle Exerzitien ausgeführt.
Und trotz aller Einwände, die Kresniks Theater heute hervorrufen mag, ist „Macbeth“ zweifellos die Arbeit eines Vollprofis mit präzisem Handwerk. Das macht es möglich die Arbeit weiterzugeben, in diesem Fall an die Compagnie des Landestheaters Linz, TanzLin.z, deren TänzerInnen das darstellerische Potenzial für diese Arbeit mitbringen und sie beeindruckend umsetzen.
Die Ehrung nach der Premiere bei Impulstanz mit dem Goldenen Verdienstzeichen des Landes Wien ist daher wohl eine längst fällige Anerkennung des 79-jährigen österreichischen Choreografen, der seine Arbeit im Ausland, vor allem in Deutschland entwickelt hat.
„Rolling“: Glücksbringer der kollektiven Erinnerung
Wenn Michael Laub Kinofragmente auf die Bühne bringt, kann er sich auf das kollektive Gedächtnis der Zuschauer verlassen. In Sekundenschnelle rollen die Filmschnipsel ab, von Klassikern der Stummfilmzeit bis hin zu aktuellen Streifen.
Hat sich der belgische Theaterregisseur / Choreograf vor zwei Jahren bereits mit Werner Fassbinders Film „Warnung vor einer heiligen Hure“ auseinandergesetzt, aus dem auch in „Rolling“ einige Szenen vorkommen, so offenbart die aktuelle Collage mit wörtlichen oder gestischen Zitaten aus etwa 200 Filmen den untrüglichen Theaterinstinkt des heute 66-Jährigen.
Fasziniert schauen wir 120 Minuten lang einem Theaterstück zu, das sich aus Mini-Fragmenten aus unterschiedlichen Quellen zusammensetzt und doch ein Ganzes ergibt. Sicher kennt niemand im Publikum die ganze Palette der verwendeten Zitate im Original, doch das Timing macht es. Wir haben gar nicht Zeit über den Film nachzudenken, von dem gerade die Rede ist. (Die Quellen werden entweder angesagt oder erscheinen auf der Leinwand im Hintergrundprospekt.)
Den „Klebstoff“ dafür liefern die Tanzeinlagen, sei es aus Musicalfilmen wie „Hairspray“, „A Chorus Line“, „Footlose“ oder aus „Swanlake“, „Marie Antoinette“ oder „Barry Linden“.
Großartig die zehn DarstellerInnen, allesamt TänzerInnen, SängerInnen und SchauspielerInnen in einer Person, die dieses schwierige Unterfangen einerseits punktgenau umsetzen und andererseits ihre ganz individuellen Persönlichkeiten ausspielen können. Sie tragen das Geschehen. Die übrigen Theateringredienzien – Kostümwechsel, Musik und Soundeffekte – werden sparsam und dramaturgisch sehr gezielt eingesetzt. Die einzige nachgestellte Verfilmung stammt aus Viscontis „Tod in Venedig“, wenn Aschenbach vor der großartigen Kulisse der Adria mit verklärtem Blick auf Tadzio (live auf der Bühne) stirbt. Einfach hinreißend!
„Tank“: Körperhybrid
Als Michael Laub Anfang der 1980er Jahre seine Gruppe „Remote Control“ für die Realisierung seiner Theaterexperimente gründete, war die Fernbedienung eines der jüngsten technischen Gadgets in jedem Wohnzimmer.
Nun kündigt sich das posthumane Zeitalter an, in der der Mensch nach und nach durch Maschinen ergänzt bzw. ersetzt werden soll. Diese Zukunftsvision beschäftigt auch die jüngere Choreografengeneration. Eine der erfolgreichsten VertreterInnen aus Österreich ist Doris Uhlich (41), deren neuestes Stück „Tank“ bei Impulstanz Wien-Premiere feierte. Die Performerin stellt dabei ihren Körper in eine Glascontainer und erweckt mit Nebelschwaden und durch eine raffinierte Lichtregie (Sergio Passanha) den Eindruck sich verändernder Körperregionen. Sie presst den nackten Körper an die Wände, drückt Brüste und Bauch flach, knetet ihr Fleisch, lässt es zum wummernden Sound von DJ Boris Kopeinig vibrieren. „Tank“ ist eine Anspielung an Invitro-Vorgänge, an hybride Mensch-Maschinen, aber auch an den Wunsch nach der perfekten Physis. „Is my body still up to date?“ fragt sie etwa, oder wünscht sich einen Körper, der wieder schwitzt und stinkt wie ein Mensch. Der Text wird zu einem Sprechgesang, mit dem Uhlich den Container verlässt. Wenn sie über den Boden kriecht, in einer Ecke sitzt und von „smart and intelligent cars“ singt, breitet sich düstere Trostlosigkeit aus. Nach einer Runde Tours Chaînés kehrt die Performerin in den Tank zurück, um sich dort vom Nebel wieder ganz verhüllen zu lassen. Verwundert und etwas ratlos schaut Mama Uhlich, die, eine Zigarette rauchend, einen Kurzauftritt hat und eine Runde um den Tank dreht, auf ihre Tochter.
In den Arbeiten von Doris Uhlich ist der / ihr nackter Körper Träger unterschiedlicher Botschaften, die aber nicht von der Person abkoppelt sind. In "Tank" repräsentiert sie nicht eine exogene Zukunft. Diese ist vielmehr eine individualisierte Verkörperung der Performerin. Konsequenterweise verzichtet Uhlich also auch beim Schlussapplaus auf Kleidung, und nach der Anerkennung der (technischen) MitarbeiterInnen deutet sie auf ihren Körper.
So ganz nebenbei symbolisiert diese Geste auch den Paradigmenwechsel des zeitgenössischen Bühnentanzes der letzten 20 Jahre, nämlich die vorrangige Beschäftigung mit dem (eigenen) Körper und die Abkehr von Repräsentation. Ist Kresniks Theater noch ganz dem Rollenspiel verhaftet, so findet bei Laub, dessen vielfältiges Oeuvre übrigens stilistisch nicht leicht einzuordnen ist, ein Wechselspiel zwischen Rolle und individueller Persönlichkeit der PerformerInnen statt. Bei Uhlich sind die beiden Aspekte deckungsgleich und nicht mehr unterscheidbar.
Johann Kresnik / TanzLin.z „Macbeth“ am 11. Juli im Volkstheater
Doris Uhlich „Tanz“ am 12. Juli im Odeon. Nächste Aufführung am 14. Juli
Miachel Laub / Remote Control Productions „Rolling” am 12. Juli im Akadmietheater. Nächste Aufführung am 14. JuliDas Impulstanz Festival läuft noch bis 11. August.