Im Rahmen des ImPulsTanz-Festivals werden die Soli „My Paradoxical Knives“ von Ali Moini und „put your heart under your feet … and walk“ von Steven Cohen gezeigt. Ein auf 750 Jahre alte persische Verse gebautes Stück mit aktuellen Bezügen und der Versuch der künstlerischen Aufarbeitung eines Verlustes.
Ali Moini: „My Paradoxical Knives“
„Hey Sky, don’t turn without Me. Hey Moon, don’t shine without Me. Hey Earth, don’t grow without Me. Hey Time, don’t pass without Me.“ Diese Zeilen des persischen Dichters und Sufi-Mystikers Rumi (1207-1273) bilden im wahrsten Wortsinn die Grundlage und den Ausgangspunkt für Moini's bereits zehn Jahre altes und in der Zwischenzeit weltweit etwa 80 Mal aufgeführtes halbstündiges Solo. In Englisch und Farsi mit Kreide auf eine am Boden liegende Metallplatte geschrieben, verwischt Moini diese Zeilen im Laufe seiner Performance. Den Körper mit einem Geschirr drapiert, klippt er sich zu Beginn circa 20 Messer an den Leib und beginnt sich zu drehen. Und dann setzt sein Gesang ein. Seine kräftige, schöne, sonore Stimme (Moini studierte neben Schauspiel auch Gesang und Komposition) füllt den hallenden Raum, eine Ausstellung ornamentaler bildender Kunst. Er singt jene Verse auf Farsi, ein paar Mal, während er sich dreht wie ein Derwisch oder Sufi.
„My Paradoxical Knives“ ist ein Distanz schaffender, fast aggressiver Akt der Selbstbehauptung und gleichzeitig die Offenbarung großer Fragilität und Verletzbarkeit. Vor dem Hintergrund des Verbotes von Tanz in vielen islamischen Ländern und im Wissen um die systematische Unterdrückung der traditionsreichen und im Volk tief verwurzelten persischen Kunst und Kultur durch die iranischen Mullahs bekommt die Wehrhaftigkeit der kreisenden Messer auch eine politische Dimension.
Steven Cohen: „put your heart under your feet … and walk“
Der dem Stück seinen Namen gebende Satz seiner 96-jährigen Leihmutter war ein in die Zukunft weisender Ratschlag, das Leben trotz allen Schmerzes zu bejahen. Der 1962 in Johannesburg geborene Südafrikaner Steven Cohen bat sie 2016 nach dem Ableben seines Lebenspartners Elu, mit dem ihm eine 20-jährige innige persönliche und künstlerische Partnerschaft verband, um Hilfe, wie er mit diesem für ihn so schweren Verlust umgehen solle.
Elu wurde gegen viele Widerstände Tänzer, klassisch ausgebildet und letztlich im Zeitgenössischen aktiv. Soweit die Ausgangsbasis dieser Arbeit.
Die von Cohen gestaltete Bühne mutet wie ein opulenter Rahmen für eine Totenmesse an. Den Boden bedecken um die 80 Paare Ballettschuhe, jedes einzelne erweitert um Zeichen aus Leben und Kampf des Elu. Judenstern und Plateau-Highheels, christliche und Haken-Kreuze, glitzernde Klunker, Dornen und rohes Fleisch. Im Laufe der Performance durch quadratische Lichtflächen zu 80 plastischen Installationen gemacht, werden sie zu assoziativen Abbildern eines kämpferischen, reichen Lebens. Mit dem Dreibein, in dem vier Grammophone hängen und dem von Kerzen gerahmten Tischchen scheint die Bühne vor der reichlich bespielten Leinwand wie ein schnörkelig überbordend geschmückter Tempel zur Verehrung Gottgleicher.
Ein Video zeigt, wie Cohen sich unter die Fußsohle die Empfehlung seiner Leihmutter tätowieren lässt. Und wie er outdoor tanzt, und wie das immer gleich verzierte Gesicht aus dem Schlamm schaut. Und dann wird es blutig. Cohen ließ sich im Schlachthaus filmen, wie er im Tütü und mit hufgleichen Schuhen das Fleisch der hängenden Rinderhälften liebkost. Wir sehen Kühen beim Sterben zu, wie ihre Augen brechen und sie ausbluten, wie ihnen die Köpfe abgeschnitten werden und ihr Blut in Wannen rinnt. Nah-Aufnahmen. Einige im Publikum halten es nicht mehr aus und gehen … Und dann suhlt sich Cohen in Blut und Schleim.
Live schnallt sich Cohen den Gürtel mit vier Grammophonen um und lässt übereinander gelegte, Verlust und Trauer feiernde Songs spielen, während er durch seine Installation und ins Auditorium stakst. Und am Ende begibt er sich an den Tisch, projiziert per Live-Kamera Nahaufnahmen seines Gesichtes, der Asche auf einem Löffel und des kleinen Sarges mit Elu's Namen auf die Leinwand. Er betet, isst die Asche mit einem Schluck Wein, nimmt den Sarg und geht ab, um nicht wieder zu erscheinen. Durch den Nebel wird stattdessen ein Bild des tanzenden Elu sichtbar.
Cohens wird seinem Anspruch, durch künstlerische Verarbeitung des Verlustes seines Geliebten seine Lebensfähigkeit zu erhalten, zu überleben, einen Weg in die Zukunft zu finden, nicht gerecht. Seine gestalterische, bildnerische Phantasie und Kreativität sind wahrlich beeindruckend, so wie die Brutalität seiner Bilder. Cohen präsentiert sich jedoch als ein weinerlicher, rückwärts gewandter Extrem-Narzisst, der an seiner Nekrophilie zu ersticken droht. Er provoziert sehr ambivalente Gefühle bei seinen Zuschauern, zwischen physischem Ekel und, wenn auch nur sehr vereinzelt, tiefer, tränenreicher Betroffenheit. Er macht uns zu Voyeuren seiner poetisch verpackten Todessehnsucht. Er badet in Blut und Selbstmitleid!
Ali Moini: „My Paradoxical Knives“am 17. Juli im mumok; letzte Vorstellung am 21. Juli 2019.
Steven Cohen: „put your heart under your feet … and walk“ am 17. Juli im Odeon, weitere Vorstellungen am 20. und 21. Juli 2019.
Vorstellungen im Rahmen von Impulstanz