Das legendäre Tanztheater Wuppertal Pina Bausch ist ein seltener Gast in Österreich. ImPulsTanz brachte das Ensemble nun mit einem besonderen Stück ins Wiener Burgtheater, dem anlässlich der Expo 1998 uraufgeführten „Masurca Fogo“. Auch ohne die vor beinahe genau zehn Jahren verstorbene Tanzikone Pina Bausch verzauberte die Compagnie mit diesem heiter-melancholischen Werk das Festival-Publikum, mit zur Hälfte aus TänzerInnen bestehend, die noch mit ihr gearbeitet hatten. Bestimmt ein wichtiger Faktor für das Charisma der Truppe.
Dabei ist der erste Eindruck noch gar nicht fröhlich, im Gegenteil. Die Bühne von Bauschs langjährigem Mitstreiter Peter Pabst besteht aus einem eingebauten weißen Guckkasten, aus dem eine Art dunkelgrauer Felsformation nach vorne hin verläuft. Es sieht aus wie zu Stein erstarrte Lavamasse, ein Vulkan vielleicht. Doch rasch ändert sich die Atmosphäre, wenn ein junger Mann von diesem kleinen Berg herunter gelaufen kommt und einen äußerst kraftvollen, dynamischen Tanz vollführt zu grooviger Musik der Neunziger Jahre. Anders als in vielen Bausch-Stücken durchzieht ein lebensbejahender Frohsinn den 150 Minuten langen Abend, auch wenn das Grundthema dasselbe aller anderen Stücke ist: das komplizierte Verhältnis zwischen Frauen und Männern.
Dem jungen flotten Burschen folgt eine hübsche Frau im langen, geblümten Kleid mit einem Mikrofon, in das sie in Abständen tief und lustvoll hinein seufzt. Sie legt sich auf den Boden, und schon kommen ein paar Männer und richten sie wieder auf. Einer nimmt sie ganz hoch und sie wirft sich mit geschlossenen Augen in die auffangenden Arme der bereit stehenden Tänzer. Ein Vertrauenssprung. In dieser Manier reihen sich viele witzige und charmante Szenen aneinander, zur wunderschönen Musikcollage aus Latinjazz, in dem Bausch eigenen szenischen Montageverfahren.
Sich am Fels sonnende Badeschönheiten, herumrennende Männer, ein mit Sektgläsern anstoßendes Paar. Natürlich bersten die Gläser bei jedem „Prost“ und die beiden lachen schallend. Es ist immer die unerwartete Irritation von Alltagssituationen, die für Spannung sorgt. In diesem auf Studienreisen nach Portugal entstandenen, atmosphärischen Stück, das als Koproduktion der Expo 1998 und des Goethe-Instituts Lissabon entstanden war, gibt es keine geschlossene Dramaturgie, sondern lose Szenen aus einer sehr persönliche Assoziationskette aller Beteiligten.
Auch viel Tanz macht dieses Werk aus, folkloristische Paartänze und Gruppentänze der Region ebenso wie Modern Dance, in Soli, Duos oder im Ensemble. Auch den titelgebenden Masurca tanzen alle gemeinsam, jenen wunderbar wiegenden Paartanz der portugiesischen Kapverde-Inseln. Darüber hinaus bringen alle ihren eigenen Stil ein, je nach Ausbildung und Talent. Zwar dominiert eine Modern Dance Technik, insbesondere nach Prägung der Folkwang Schule, deren Absolventin auch Bausch selbst war. Doch war ihre Arbeitsweise äußerst demokratisch, und alle TänzerInnen waren mit ihren individuellen Körpern und Lebensgeschichten Co-AutorInnen.
Das war das Genuine des deutschen Tanztheaters, deren wichtigste Pionierin der Nachkriegszeit Pina Bausch war. Sie hat es zwar nicht „erfunden“, was ja in einer kollektiven Kunstform niemals der Fall ist. Im Grunde hatte sich die Entwicklung einer theatralen Tanzkunst bereits seit Rudolf von Laban in der Zwischenkriegszeit angebahnt und später in der deutschen Ausdruckstanzbewegung. Labans Schüler Kurt Jooss, bei dem Bausch lernte, war dann der prägende Motor für die spätere Choreographin.
So wie viele andere des Theaters der Sechziger und Siebziger Jahre nahm sie den durch den Zweiten Weltkrieg abgerissenen Faden der Avantgardekunst wieder auf. Das Tanztheater von Pina Bausch war, anders als das choreographische Theater eines Johann Kresniks, nie politisch im gebräuchlichen Sinn. Eher stand sie in der Tradition der deutschen Ausdruckstänzerinnen, die das innere Erleben körperlich-ästhetisch darstellen wollten. Ganz im Zeichen der Sechziger und Siebziger Jahre entwickelte Bausch aber doch eine eigenständige Ästhetik mit neuen Gestaltungsprinzipien, wie das Zeigen des Unfertigen, des „Work in Progress“.
In diesem Tanztheater sollte die Zurichtung des, vor allem weiblichen Körpers, im Kontext der Machtverhältnisse und in all seinen Widersprüchen sichtbar gemacht werden. Das ist das historische Verdienst von Bauschs Tanztheater, und solang TänzerInnen in der Compagnie sind, die dieses Wissen den jungen Mitgliedern weitergeben können, funktioniert vermutlich auch das Lebendig-Halten der Stücke.
Allerdings wäre es schade, das Tanztheater Wuppertal zum Pina Bausch-Museum zu machen. Zum Glück scheint es unter der Leitung der neuen Intendantin Bettina Wagner-Bergelt, einer erfahrenen Tanzmanagerin, einen neuen Weg zu geben. Künftig soll das Ensemble auch Stücke zeitgenössischer ChoreographInnen tanzen. Gut so.
Tanztheater Wuppertal Pina Bausch: „Masurca Fogo“ am 16. Juli im Burgtheater im Rahmen von Impulstanz (noch bis 11. August)