Die Ägypterinnen Noura Seif Hassanein und Salma Abdel Salam (nasa4nasa) stoßen auf einem „Suash“-Platz an ihre Grenzen als Frauen und Tänzerinnen. Anne Juren schaut auf „42“ Jahre Leben, das bei den ZuseherInnen Ratlosigkeit verbreitet, während Simone Aughterlony und Petra Hrašćanec bewusst und ohne „Compass“ auf der rauen See der Orientierungslosigkeit treiben. Für Dana Michels „Cutlass Spring“ sollte das Publikum hingegen psychologische Grundkenntnisse mitbringen.
„Suash“ von nasa4nasa
Die beiden in Kairo geborenen Tänzerinnen Noura Seif Hassanein und Salma Abdel Salam stellen im Rahmen der ImPulsTanz-Reihe [8:tension] für junge ChoreographInnen ihre Arbeit „Suash“ vor, uraufgeführt 2019 in Kairo auf einem Squash-Platz. Ebenso strukturiert ist die Bühne, weiß mit roten Linien auf dem Boden und an der Rückwand. Die beiden Tänzerinnen agieren in dieser nur halbstündigen Performance in synchroner Slow Motion.
Zu knacksigem, rauschenden Elektronik-Sound (Musik von Asem Tag) mit revers eingespielten Klängen kreisen sie die Arme rückwärts, ganz langsam. Sie durchmessen den Raum, trennen sich zuweilen, Stellungsspiel auf dem Platz, beschleunigen nur kurz einmal, halten die Arme immer gestreckt. Nur einmal brechen sie aus, zeigen uns ihren Bizeps, kreisen gelöst die Hüften, die Oberkörper mit breiten Beinen. Wellen durchlaufen ihre Körper aufwärts. Fast schon lasziv wirken ihre Bewegungen zum wummernden Sound. Bald aber sind die Arme wieder steif, kreisen rückwärts. Auf die Knie gesunken klagen und beten sie, so scheint's, im roten Licht zu auch arabischen Klängen. Und wie Trost suchend und spendend legen sie die Köpfe auf die Schultern der Anderen. Am Ende liegen sie auf dem Rücken, dicht nebeneinander, recken die Arme in den Himmel und drehen ihre Hände. Aus den Boxen kreischt es.
„Suash“ ist nur vordergründig ein Stück über ein Ballspiel. Squash selbst ist schon eine Metapher: Sie spielen den Ball, der immer wieder zurückprallt. Vergebliches Mühen. Sehr atmosphärisch und poetisch reden nasa4nasa von der Rückwärtsgewandtheit des auch muslimischen Frauenbildes. In ihrem Selbstausdruck gebremst und behindert, bewegen sie sich in der Enge und Begrenztheit eines Spielfeldes ohne wirkliche Bewegungsfreiheit, mit vielen roten Linien.
Kühl, stolz und selbstbewusst, dabei schön und anziehend, begehren sie auf, formulieren metaphorisch verpackt ihre Fragen. Haben wir die Möglichkeit und die Kraft, etwas zu ändern? Was tun? Sanft feministisch. Gelungen.
„42“ von Anne Juren
Als eine der wenigen österreichischen Performance-KünstlerInnen beim diesjährigen Festival stellt die in Wien lebende gebürtige Französin Anne Juren ihre jüngste Arbeit „42“ als Uraufführung im Odeon vor. Die Mit-Gründerin des Vereins Wiener Tanz- und Kunstbewegung (gemeinsam mit Roland Rauschmeier) ist seit nunmehr 15 Jahren als Performerin, Choreografin, Mentorin, Forscherin und heuer auch als Autorin („Movement Research“, mit Mårten Spångberg) bei ImPulsTanz vertreten.
Zu sehen ist in „42“ nicht viel. Düstere Szenen, dunkle Orte, lange Blackouts, dazwischen flächige Lichtspiele (Licht: Bruno Pocheron), ein fragmentiert agierender Körper, Bruchstücke, Aufflackern von Gedanken und Gefühlen. Anne Juren spielt viel Sprache ein, manchmal auch Verständliches. „Keine Stabilität. Kein Weg zurück. Kein Feedback. Keine Unterstützung. Keine Perspektiven. Kein Zu Hause.“ Später dann: „Schau auf Dich! Schau auf den Raum hinter Dir, auf den zwischen Dir und der Decke!“ Sie stakst mit gebeugten Knien durch die Ablagerungen ihrer Geschichte. Mit Stil. Und Sex hat sie auch und gebiert Kinder. Sie läuft am Ende vor und zurück. Progression und Regression spülen sie durchs Leben.
Und immer begleitet sie ihre Alter Ego. Die nackte Linda Samaraweerova liegt rechts hinten, erst mit dem Rücken zu uns, dann auf dem Rücken. Sie stellt sich auch mal auf alle Viere, bewegt sich kaum merklich vorwärts, um sich bald wieder niederzulegen, wie zu Beginn. Sie ergibt sich dann doch voller Demut ihrem Schicksal, dem Geworfen-Sein ins Leben, in die Welt und auf sich selbst.
Zum Ende hin zählt sie rückwärts, von 45 bis 1, Stationen ihres Lebens, noch bevor jemand singt „I'm with you. Hand in hand.“ Ist da doch noch Trost, gar Optimismus? Das Publikum dankt brav.
Anne Juren fordert mit „42“ ihr Publikum heraus. Nicht nur mit den Längen des Stückes, auch die Bildsprache ist eine zuweilen nur schwer Zugängliche. Aber sie macht Sinn. Die vielen langen, dunklen, in Vergessenheit geratenen, wohl eher verdrängten Phasen, Erlebnisse und Gefühle eines Lebens zwischen den hellen, bewussten, erzeugen diese Episodenhaftigkeit der Performance. Und die Macht des Dunklen, Unbewussten ist gewaltig. Juren konfrontiert uns damit. Sie zeigt die fehlende innere Geschlossenheit, die fehlende Folgerichtigkeit eines (ihres?) Lebens. „42“ ist nicht berührend, aber den Geist bewegend. Die recht verbreitete Ratlosigkeit entlud sich dann im Frohsinn der Dance-Webber, die sich auf die anschließende Party in der Festival-Lounge freuten ...
„Compass“ von Simone Aughterlony, Petra Hrašćanec und Saša Božić
Inspiriert von Homers Odyssey entwickelten die in Neuseeland geborene, in Zürich und Berlin lebende Tänzerin, Choreografin und Performerin Simone Aughterlony, die kroatische Tänzerin, Choreografin und Pädagogin Petra Hrašćanec und der kroatische Theaterdirektor und Dramaturg Saša Božić ihre Performance „Compass“ vorgestellt.
Der Boden der Bühne im Kasino am Schwarzenbergplatz ist mit Kreide bemalt. Wellen. Ein großer Haufen Tuch und Seile, ein Waschzuber und zwei dunkelblau-weiß gekleidete Tänzerinnen, die eine durchnässt, geben ein Bild von Unordnung, Chaos. Es klingt wie das Klappern von Fallen am Mast und das Ächzen eines stählernen Schiffsrumpfes. Der wirklich fantastische Soundtrack des renommierten New Yorker Komponisten, Sounddesigners, Produzenten, Geigers und Gitarristen Hahn Rowe, live performt, begleitet mit naturalistischen, mystischen, dann auch düster-drohenden und sphärischen Klängen und Rhythmen die Reise der zwei einsamen Matrosen.
Strauchelnd auf schwankenden Planken, angstvoll zurückweichend vor Unbekanntem (das sind wir, das Publikum), selten nur nah beieinander suchen die beiden verunsichert, gebrochen, nach sicheren Ufern. Eine schwenkt bald ihr weißes Shirt, ergibt sich. Die andere gräbt sich in den Berg aus Segeln und Tauen, legt gehörnte Schädel, Bottich, Plastik-Müll und Tasche frei. Erschöpft und verzweifelt ringen sie mit den Requisiten. Vielsprachige Funksprüche und Schiffssirenen erreichen sie. Tanzen tun sie auch, zerbrechen, karikieren Disco-Mooves.
Doch sie kommen zur Ruhe. Äußerlichkeiten, Völlerei, Suff und Sex spenden Trost. Auch frisch gezapftes Blut, gesüßt mit Zucker und zärtlich gestrichen auf die Hörner auf dem Kopf der anderen, spielt mit. Kandierte Gewalt. Als am Ende die eine ihr entblößtes Gesäß der anderen darbietet („Fick mich!“), verweigert sich die andere, zieht sich wieder an und legt sich auf die Gefährtin. Crescendo im verloschenen Licht.
Dicht, tänzerisch und musikalisch ungemein ausdrucksstark und sehr atmosphärisch spricht „Compass“ von Entfremdung und Xenophobie, von Halt- und Orientierungslosigkeit, vom Verlust und der Zerstörung existenzieller Werte, vom Wunsch, sich selbst nicht spüren zu müssen, von der Verführung und Verführbarkeit zur Betäubung des Gefühls der inneren Leere, der Einsamkeit und Minderwertigkeit durch Genuss und Gewalt. Ethische Missweisung. Pars pro toto. Die Sirenen singen, wie zu allen Zeiten!
„Cutlass Spring“ von Dana Michel
Ohne psychoanalytische Grundkenntnisse erschließt sich einem die in diesem Jahr in Brüssel uraufgeführte Arbeit „Cutlass Spring“ nur schwerlich. Die afro-kanadische Choreografin und Performerin, 2014 mit dem ImPulsTanz-Award für herausragende künstlerische Leistungen und 2017 auf der Biennale Venedig mit dem Silbernen Löwen geehrt, durchlebt in diesem Stück ein (weibliches) Leben vom Baby bis ins Erwachsenenalter, von der Windel bis zur Aktentasche.
Die Bühne des Odeon wird vom Publikum vierseitig gerahmt. Auf weißem Teppich stehen 9 Plasikstühle, wie für Zuschauer in Richtung eines Rollbretts gestellt. In viel zu großen Männerschuhen, mit windelartiger dicker kurzer Hose und in rotkarierter Jacke kauert Dana Michel auf dem Brett, dem Wickeltisch, und wackelt, zuckt, windet sich. Lange. Und es knarzt ein wenig in den Boxen.
Mit ungeheurem Reichtum an Bildern und Metaphern reist Dana Michel durch viele Phasen einer Persönlichkeitsentwicklung, betrachtet insbesondere aus sexueller Perspektive, stark, aber nicht ausschließlich geprägt durch die Erkenntnisse Sigmund Freuds. Der beschrieb als erster Strategien des Lustgewinns von Säuglingen. Lang zurückgehaltener Stuhlgang gehört dazu. Und das Saugen an der Mutterbrust, das Flaschennahrung nicht ersetzen kann. Sie zerrt die Stühle von der Bühne, schickt die elterlichen und sozialen Instanzen damit ins Unbewusste, wo sie fortan (von den meisten jedenfalls) unerkannt ihr destruktives Werk verrichten.
Auch ein Kleid zerrt sie aus ihrer Hose, langsam und dann nur kurz ist sie ein Mädchen. Eis auf ihrer Brust, zertreten auf dem Boden. Denn kalt wird’s im Herzen … Einen riesigen rosa Cowboy-Hut zieht sie irgendwo heraus. Bald wieder geschlechtslos mutiert sie schließlich zum ledergedressten, coolen Business-Man, der auf seiner Aktentasche liegend eine rauschende Coladose irgendwie in den Händen hält. Workaholic nennt man sie, die sich an ihrer Bedeutsamkeit berauschen. Sie bewegt sich über die gesamte Dauer wie eine seelisch gestörte Persönlichkeit. Ruckelnd, zuckelnd, wackelnd, ihren Körper und die Requisiten hin und her schiebend, ohne Klarheit und Bestimmtheit.
Am Ende zieht sie das auch installativ „unter den Teppich gekehrte“ Gestell eines Kinderbett-Insektenschutzes in die Höhe, ganz langsam zuckelnd natürlich. Nur: Drinnen hängt ein Ziegelstein. Die Bedrohung des seelischen Kindeswohls beginnt am ersten Tag. Nur für die letzten Sekunden noch setzt sie sich ein „Green Beret“ auf. „Verdeckte Operationen“, das Eigentliche also bleibt unerkannt, bestimmen das Fühlen, Denken und Handeln des Menschen.
Dana Michel bringt mit „Cutlass Spring“ klug, in phantasievollen Bildern und tiefgehend entschlüsselt die Vielfalt der Erscheinungsformen menschlicher Sexualität (besser: des Lustgewinns, auf den sie abzielt) auf die Bühne. Unentwickelt, nicht ausgelebt, unterdrückt, verzerrt, verstümmelt oder sublimiert, patriarchalisch geprägt, gewaltvoll, repressiv und destruktiv erlebt führt sie am Ende in psychische Störungen, wirkt sie letztlich selbst- und sozial-sabotierend.
„SUASH“ von nasa4nasa, am 7., August im mumok; „42“ von Anne Juren, am 7. August im Odeon; „Compass“ von Simone Aughterlony, am 8. August im Kasino am Schwarzenbergplatz.; „Cutlass Spring“ von Dana Michel, am 10. August im Odeon im Rahmen von Impulstanz 2019