Zum vierten Mal geht zur Zeit „Pelzverkehr“, das Festival für zeitgenössischen Tanz und Performance in Klagenfurt über die Bühne. Vielmehr: über die Bühnen. Denn der künstlerischen Leiterin Ingrid Chlapek-Türk ist es diesmal gelungen, den Aktionsradius auf sieben Spielstätten zu vergrößern. Der Auftakt am 17. September stand außerdem ganz im Zeichen der Alpe-Adria-Region.
Den Beginn machte die Italienerin Chiara Bersani in der Stadtgalerie, bevor das Festival offiziell in der Homebase des Festivals, der Theaterhalle11 des Klagenfurter Ensembles, eröffnet wurde, gefolgt von einer Aufführung von „Moved by Voice“ der slowenischen Choreografin Irena Tomažin Zagoričnik.
A Gentle Unicorn
Das Bühnenbild: Waldansichten unterschiedlichster Art, von internationalen Künstlern auf Papier gebracht, und eine Trompete, die wie ein vergessenes Objekt auf dem Boden liegt. Inmitten der Ausstellung „Touch Wood“ in der Klagenfurter Stadtgalerie hat es sich das Einhorn zum Schlafen gemütlich gemacht. Wird es von den eintretenden Menschen gestört? Es raschelt, wenn es sich bewegt, es schnappt nach Luft, lächelt, kieckst leise, bevor es sich – nun ganz wach – auf eine Entdeckungsreise im Raum begibt.
Das Einhorn ist Chiara Bersani, „Seeking Unicorn“ nennt sie diese Suche nach dem Fabelwesen – in sich, in den Zusehern und darüber hinaus. Langsam robbt die kleinwüchsige Performerin entlang des Zuschauerkreises, sucht mit jedem / mit jeder Augenkontakt. Freundlich lächelnd und doch beharrlich will sie auch jene erreichen, die ob der Nähe peinlich berührt scheinen. Das wirkt. Zwischen der Performerin und dem Publikum macht sich so etwas wie Empathie breit. Zeit also den Weg fortzusetzen, den mystischem Rufen aus dem Wald zu folgen. Wir hören Hufe auf weichem Boden galoppieren, leise Trompetenklänge, die lauter und dringlicher werden, sobald die Darstellerin ihren Oberkörper aufrichtet (Sound: Fra de Isabella). Als sie schließlich in die Trompete bläst, schallt es als vielfaches Echo zurück. Das Unicorn hat seine Herde gefunden. Doch diese bleibt dem Publikum natürlich verborgen.
Mit künstlerischem Feingefühl schafft die italienische Performerin einen gemeinsamen Raum mit dem Publikum, zieht es mit sparsamen, kleinen und wohl dosierten Gesten in einen magischen Bann. Zum Applaus erscheint sie im Rollstuhl, zusammen mit den hinter den Kulissen agierenden Musikern bzw. Trompetern. Da hatten die ZuseherInnen vielleicht bereits ausgeblendet, dass das reduktionistische Konzept in „Seeking Unicorn“ weitgehend Bersanis körperlichen Einschränkungen geschuldet ist.
Mit der Performance dieser außergewöhnlichen Künstlerin hat das Festival „Pelzverkehr“ gleich zu Beginn eines der wichtigsten Features des zeitgenössischen Tanzes ins Rampenlicht gestellt: die Verwerfung der körperlichen Normierung und die Inklusion unterschiedlichster Körperformen. Chiara Bersani verwandelt diese gesellschaftspolitische Ansage zu künstlerischer Poesie.
„Moved by Voice“
Ein roter Faden im diesjährigen Pelzverkehr-Programm ist die Verbindung von Körper, Geräusch und Klang. Die Gruppe um Irena Tomažin Zagoričnik nahm dieses Motto wörtlich. Bei den anfänglichen Aufwärmübungen wähnte man sich gleich einmal in einem New Age Stimmbildungsseminar, und dieser Eindruck wurde in der folgenden Stunde noch verstärkt. In Soli, in der Gruppe versuchen die vier Frauen ihren Körpern Geräusche zu entlocken. Etwa in narzisstischer Selbstdarstellung, wenn sie breitbeinig auf Stühlen sitzen, mit zurückgeworfenem Kopf stöhnen und ächzen.
Das provozierende Rülpsen macht aus einer dieser „desparate Houswives“ eine ätzend pubertierende Göre. Hyperventilation findet statt, wenn man den Körper mit offenem Mund schüttelt. Darin übt sich das Quartett im Halbdunkel. Da sinkt dann eine zu Boden, wird einmal re-animiert, das zweite Mal wird der leblose Körper von den anderen ins Licht gezerrt. Schließlich probieren die vier auch noch aus, was den inneren Klangkörpern entfährt, wenn man den Brustkorb auf den Boden knallen lässt. Schließlich werden die Geräusche gesampelt und vom Band zurückgespielt, man quietscht noch einmal in den höchsten Tönen und verbindet sich am Ende zum Reigentanz, womit diese Workshop-Anordnung ein harmonisches Ende nimmt. Die künstlerische Bearbeitung des Materials, das hier ertönt, ist spärlich und oberflächlich. „Moved by Voice“ bleibt abstrakt oder evoziert maximal gängige Klischees.
Bis 27. September bietet das Festival für Tanz und Performance noch ein abwechslungsreiches Programm für Erwachsene und junges Publikum, zum Beispiel „Annefrank“ von Anna Possarnig (26. und 27. September). Am 21. September wird Klagenfurt von 10 bis 23 Uhr mit Performances und Filmvorführungen in Bewegung gebracht. Anna Wieser lädt das Publikum zu choreografischen Führungen: „Im Wald mit Giselle“ am 22. und 26. September sowie „Wenn die Gretel Ohne Hänsel“ am 24. und 25. September. Natürlich darf bei einem Festival des zeitgenössischen Tanzes ein Angebot zum Mitmachen nicht fehlen. Und so gibt es seit 18. September von Montag bis Freitag um 10 Uhr unter dem Titel „Tanz in den Tag“ jeweils ein einstündiges Training am Neuen Platz. Das Angebot an alle Tanzfreudigen wird von Thales Weilinger geleitet und erfordert keine Vorkenntnisse - Glücksmomente garantiert.
Pelzverkehr. Festival für Tanz und Performance, 17. bis 27. September