Dass den als performativ angekündigten Programpunkten im heurigen steirischen herbst, dem zweiten unter der Intendanz von Ekaterina Degot, eher nicht ihre primäre Aufmerksamkeit zu gelten scheint, ist jedenfalls nach dem ersten Festival-Wochenende und den zwei hier besprochenen Performances voranzuschicken. Ohne damit diesen inhaltlich wie formal sehr konträren Arbeiten jegliche Qualität gänzlich abzusprechen.
Altbackenes ohne frische Zutaten
„Global Congress of Post-Prostitution” – dieser Titel des Auftragswerkes veranlasst, insbesondere wenn der Text von einer Philosophin aus Georgien, von Keti Chukhrov, verfasst ist, kritisch-aktuell Gesellschaftspolitisches zu erwarten, Gedanken zur Prostitution im weiteren Sinne also. Allein, die Inhalte drehen sich weitgehend engräumig um körperlichen Verkauf seiner/ihrer Würde und dies in hinlänglich bekannter und diskutierter Weise. Auch wenn einzelne eingestreute Sätze aufhorchen lassen, fühlt man sich insgesamt thematisch sehr unterfordert.
Die inszenatorische Aufbereitung des jungen, georgischen Guram Matskhonasvili ist in gewisser Art durchaus kurzweilig. Vor allem auch, weil über längere Zeit angenommen werden kann, dass es sich hier um ironische Formen der Dramaturgie handle. Allerdings –und früher oder später wird das klar – fehlt dem Altbackenen nahezu ausschließlich der resche Biss frischer Zutaten, sodass man sich mehr und mehr, vielleicht auch ein wenig amüsiert ins distanzierte Beobachten zurücklehnt: in das überholter künstlerischer Auf- und Bearbeitung von Problemen frustrierter Menschen, die sich in ihrem weitgehend sinnentleerten Leben auf Kosten anderer und bar jeder Moral gelangweilt ihren Spaß erlauben.
Eine spezielle Art von glasklarer Poesie
Der erfolgreiche belgische Choreograph, Autor und Kurator Michiel Vandevelde konfrontierte im vergangenen herbst mit seiner Interpretation des ersten Buches von „Human Landscapes“ des türkischen Dichters Nâzim Hikmet ein großteils davon überzeugtes Publikum. Mit seiner gleichnamigen Arbeit „Book II“ vertrieb er, wie von der Premiere bekannt wurde, nicht wenige der Zuseher; bei der zweiten Aufführung gingen nur ein paar. Warum überhaupt? Vermutlich, weil die Bezeichnung „Performance“ so manchen ganz anderes erwarten ließ; anderes, als über Lautsprecher eingespielte Texte zu Fotos und Videos auf einer dreigeteilten, länglichen, schmalen Leinwand – sie stand symbolisch wohl für die Zug-Waggons, den Ort der Handlung –, unterbrochen von live vorgetragenem Chorgesang.
Die ungefähr 80 minütige Darbietung im barocken Minoritensaal verlangte zweifellos mehr an konzentrierter Aufmerksamkeit als die im vergangenen Jahr, die sich zum Großteil in Dunkelheit, also ganz auf den Text fokussiert, abspielte; verlangte mehr an erwartungsloser Bereitschaft, sich auf den dichten Text, bestehend aus einer Art relativ abstrakter Dialoge und innerer Monologe, einzulassen; im Kontrast zu historischen aber auch aktuellen, weitgehend kontinuierlich projizierten Fotos, Videos und und den Liedern, größtenteils mit Texten von Bert Brecht.
Eine sehr spezielle Art von glasklarer Poesie liegt in dieser inszenatorischen Aufbereitung. Sie schneidet (sich) ein und legt sich doch auch sanft über geöffnete Poren. Sie ist in ihrem beinharten Kontrast eine Parallele zum mosaikartig aufgeblätterten Inhalt der scharf getrennten Lebenswelten von Reich und Mächtig zu Arm und Intellektuell-Künstlerisch. Zu dem also, was der Text relativ hermetisch aber doch laut anklagend vermittelt.
Der Vorwurf einer zu geringen künstlerischen Aufbereitung/Aufarbeitung/Einbringung ist nachvollziehbar. Aber eine der Aufgaben der Kunst, nämlich für feine Wahrnehmung zu sensibilisieren, ist sehr nachdrücklich gegeben.
PS: Warum nur hat man es in diesem fragilen Rahmen verabsäumt, die „Beilage Hintergrundinformationen“ (mit den Liedtexten, die im Vortrag des Vocalforum Graz bei aller musikalischen Qualität kaum verständlich waren) vor der Performance dem Publikum auszuhändigen!
Steirischer Herbst: “Global Congress of Post-Prostitution”, 21.September 2019; Orpheum Graz; “Human Landscapes – Book II”, 22. September 2019; Minoritensaal Graz