John Crankos literatisches Ballett „Onegin“ steht und fällt mit der psychologischen Interpretation der Charaktere. Ketevan Papava schafft das mit ihrer Darstellung von Tatjana im Alleingang. Die Intensität, mit der sie die Sehnsüchte, Konflikte und Leidenschaften der Geschmähten und Begehrten verkörpert, schwappt quasi auf die KollegInnen über, und macht diese 51. Aufführung des Wiener Staatsballetts ganz besonders.
Als linkisch-schüchterner Teenager kann die Linie nicht perfekt sein – eine kleine Beugung im Rücken, ein unsicher aufgesetzter Schritt – nein, Tatjana tritt nur ungern aus ihrer Fantasiewelt der Bücher, heraus. In kindlich-unschuldiger Liebe zu Onegin (Roman Lazik) entbrannt, richtet sie sich an seinem Arm auf, bekommt seinen Hohn und Spott gar nicht mit, sondern schwärmt ihn mit sehnsüchtigen Blicken an. Wenn er sie beim Wiedersehen ignoriert und demütigt, schrumpft ihr Körper sichtlich. So sieht jemand aus, der sich am liebsten verkriechen will, da hilft auch kein Spitzenschuh.
Erst im dritten Akt als verheiratete Frau an der Seite Gremlins (Vladimir Shishov) erstrahlt Ketevan Papava als die elegante, anmutige und reife Ballerina, die sie ist. Das anschließende Duett mit einem reuemütigen Onegin wird bei ihr zu einer Höllenfahrt widerstrebender Gefühle.
Papava nimmt die Zuschauer mit auf diese Achterbahnfahrt zwischen Attraktion und Ablehnung, zwischen Leidenschaft und Ekel, Gefühle, die Onegin nach so vielen Jahren wieder in ihr hervorbringt. Die Verzweiflung, nachdem sie ihn weggeschickt, diese unerfüllte Liebe kondensiert sie in einem Zittern, das auch die Zuseherin erschauern lässt. Von dieser geballten Ladung an Emotionen wird auch Roman Lazik erfasst und läuft zu Höchstform auf.
In starkem Kontrast dazu stehen das fröhliche, lebenslustige Paar Olga und Lenski, in denen Madison Young und Jakob Feyferlik ihre Rollendebuts gaben. Ihre Pas de deux sind wunderbar leichtfüßig. Die Zuwendung zu Onegin geht bei Madisons Olga über reine Koketterie hinausgeht. Als charmant Verliebter ist Feyferlik unwiderstehlich, den Wandel vom Verliebten zum zornig Enttäuschten, vom Freund Onegins zu dessen Rivalen, könnte er in kommenden Aufführungen durchaus noch intensivier gestalten. Zur Zeit ist sein Lenski nicht mehr als eine Schablone für die romantische Gefühlswelt, die in Tschaikowskis Musik so dramatisch erklingt, auch an diesem Abend unter der souveränen Leitung von Ermanno Florio.
Wiener Staatsballett: „Onegin“ am 23. Jänner 2020 in der Wiener Staatsoper. Letzte Vorstellung in dieser Saison am 26. Jänner