Ambitionen über Ambitionen – bei den sechs Hauptfiguren ebenso wie bei deren Interpreten. Das kann einfach wunderbar sein. Oder in die Hose gehen. Für die aktuelle Übertragung auf die Bühne von „Ein Amerikaner in Paris“ – eine Adaption von Vincente Minnellis 1952 mit sechs Oscars prämiertem Hollywood-Musikfilm (mit Gene Kelly und Leslie Caron als Traumpaar) – trifft beides zu.
Man muss bei Gershwins Stück (inhaltlich eine Neubearbeitung von Craig Lucas) klar unterscheiden – zwischen der Musicaluraufführung 2014 im Pariser Théâtre du Châtelet und Landes- bzw. Stadttheateradaptionen. Insbesondere wenn sich letztere an den genialen regiechoreografischen Coup heften, der überaus erfolgreich über den Broadway und nach einem Abstecher in die USA durchs Londoner West End fegte.
Verantwortet hat diese erste Produktion Christopher Wheeldon. Mit dem Bayerischen Staatsballett hat der gefragte Choreograf und stellvertretende künstlerische Leiter des Royal Ballet sein aufwendiges Ballett „Alice im Wunderland“ einstudiert. Dass nicht seine brillante Inszenierung nach München geholt wurde, die schon vor zwei Jahren in einer grandiosen Verfilmung und Kinoausstrahlung gipfelte, ist bitterschade. Und eine verpasste Chance.
Stattdessen sah man in München die von der Konzertagentur Landgraf in Auftrag gegebene Version (die am Landestheater Linz seine deutsche Erstaufführung hatte und deren Tourneefassung am Stadttheater Minden startete).
Was nutzen Gershwins herrlich swingende Musik und unsterblich gute Songs, wenn deren unterschiedlichste Stilfacetten und Rhythmen aufgrund orchestraler Besetzungsdiät und zu uniformer, blasser Stimmführung gleich aller drei führenden Männerrollen das Publikum nicht von den Stühlen reißen? Da bleibt selbst die so fleißig mit choreografischen Einfällen von Christopher Tölle einstudierte und in Tanz, Gesang und Schauspiel brav nach allen Regeln der Kunst durchexerzierte Performanceleistung fad. Dabei wäre mit einem tafferen und impulsiveren Timing noch einiges an platten Witzen und biederer Situationskomik zu retten gewesen.
Problemknackpunkt der ausstattungsmäßig ansprechend auf das Notwendigste reduzierten Show sind nicht die deutschen Übersetzungen der Dialog- und Liedtexte. Obwohl ein Refrain wie „Ich hab‘ echt Schwein gehabt“ Stimmbänder wohl nicht so leicht in Schwingung versetzt, und „I got Rhythm“, „Fidgety Feet“ und „I’ll Build a Stairway to Paradise“ sich gewiss eleganter von der Zunge lösen als „Spür den Rhythmus“, „Kribbeln die Zeh’n“ oder „Rauf auf den Weg ins Schlaraffenland“.
Am ersten Vorstellungsabend im Münchner Prinzregententheater steigern sich die drei Freunde Komponist Adam Hochberg (Robert D. Marx; als Erzähler leider zu unpräzise und matt), GI und Maltalent Jerry Mulligan (sehr engagiert: Tobias Joch) und Henri Baurel (guter Typ für den emotional ungelenken Sohn reicher Geschäftsleute: Nico Schweers, Ex-Student der Bayerischen Theaterakademie) immerhin auf passables Mittelmaß. Jeder auf seine Weise verschossen in die zierliche Ballerina Lise Dassin (überzeugend, egal in welcher emotionalen Lage: Brasilianerin Mariana Hidemi).
Für souverän ausgelebte Frauenpower sorgen Mezzosopranistin Kira Primke als Kunstmäzenin Milo Davenport und Michaela Hanser. Dank langjähriger Erfahrung am Grips Theater Berlin macht die Schauspielerin aus der vordergründig versnobten Partie der Madame Baurel pointensicher eine Strippenzieherin von markantem Format. Der Zweite Weltkrieg und die Pariser Besatzungszeit sind vorbei. Das Leben kehrt in die Stadt zurück. Im Theater beginnen die Proben für ein neues Ballett. Tanz steht folglich fast permanent im Fokus der Handlung. Hübsch, spritzig und stimmig.
Heiko Lippmann, musikalischer Leiter des abgespeckten „Amerikaner“-Tourneeprojekts, dirigiert das schmal hintereinander auf der linken Bühnenseite zusammengepferchte Krakauer Krzysztof Klima Festival Orchesters gern einen Tick zu langsam. Der Klang, den die höchstens 12 Musiker – durchaus schmissig – verbreiten, würde sich bestens als Ballbegleitung eignen. Zum Glück hat Robert Pflanz mit seinen atmosphärisch starken, teils bewegten Videoprojektionen optisch den Dreh raus. Jerrys Zeichnungen und Entwürfe werden Teil des Bühnenbilds. Einzig sie muntern auf, bis zum unvermeidlichen finalen Happy End.
George Gershwins „Ein Amerikaner in Paris“ auf Tournee; Gastspiel am 4. Februar 2020 im Münchner Prinzregententheater. Weitere Vorstellungen bis 9. Februar