Auch Kinder und Jugendliche tun es: Sie blicken neugierig hinter Kulissen, besuchen Theatervorstellungen und nehmen an Workshops teil, sie versuchen sich als Kritiker und engagieren sich als Juroren. Wenn man sie, die sehr wohl kunstinteressierten Jungen, gekonnt und vielseitig aufbereitet dort abholt, wo sie sind. Das 8.internationale Theaterfestival für junges Publikum spleen*graz tut das und kann das.
Seit 2006 findet es alle 2 Jahre statt; initiiert und geleitet von Hanni Westphal und Manfred Weissensteiner. An 6 Tagen zeigen heuer in über 90 Veranstaltungen an 8 Spielorten 12 Theatergruppen aus 7 Ländern 16 Theaterproduktionen, deren Themen Kinder ab 2, Jugendliche und – dank auch deren hoher Qualitäten – Erwachsene ansprechen.
Im Rahmen der Nachwuchsschiene, dem Festival im Festival, spleen*trieb, das sich der Herausforderung des, Ausschwärmens‘ stellt, das heißt dem Performen an theatralen Un-Orten, werden außerdem 6 Crossover-Projekte gezeigt. Dialogveranstaltungen, ein Diary Slam, 16 Workshops (gehalten von spleen*peers, also Jugendlichen, die schon mehrere Jahre selbst Theater spielen) und mehrere Partys komplettieren das Programm.
„I Will Be Everything“
Eröffnet wurde das Festival mit „I Will Be Everything“, einer Koproduktion von sieben europäischen Theatern aus sieben europäischen Ländern im Rahmen des Projekts Kreatives Europa der Europäischen Kommission. Basis und Inhalt des Stückes sowie die weitgehend unverändert zitierten, ausgewählten Texte bilden Antworten, die in den letzten 3 Jahren 3000 Kinder im Rahmen von Interviews auf Fragen nach ihren Vorstellungen von der Welt in 50 Jahren, nach ihren Wünschen und Träumen gegeben haben. Das daraus entstandene multikulturelle, mehrsprachige Theaterstück wird in allen beteiligten Ländern gezeigt; formlos-locker vereinzelt von einem Erzähler in der jeweiligen Landessprache (Nora Winkler, AT) bruchstückartig präsentiert. Verstehen sich doch nicht nur der Rahmen um das Müllproblem, sondern auch die Themen um Digitalisierung, Robotik, um Feindschaft und Freundschaft, um Träume vom Fliegen und von Unverwundbarkeit überregional problemlos. Selbstverständlich ist dem überbordenden Ausgangsmaterial nur in einzelnen Ansätzen beizukommen. Aber schon der bei der spiel-technischen Umsetzung eingesetzte Einfallsreichtum (ferngesteuerte Roboter neben so alten Darstellungsformen wie Schattentheater mit Stabfiguren dürfen auferstehen) macht das Zusehen in all seiner jugendlichen, wechselhaften Dynamik zu einem Vergnügen. Sehr wohl gelingt es aber auch, aus diesen aussortierten Gedanken und Wunsch- Steinchen eine atmosphärische Ahnung von dem zu erhaschen, was in Kinderköpfen aus europäischen Ländern herumgeistert. Nichts Regionalspezifisches ist es, sondern vor allem Verbindendes. Wenn etwas trennt, so sind es grenzübergreifende Sozialbedingungen, weiß Nora Winkler in einer Dialogveranstaltung zu erzählen.
„Oorlog/ Krieg“
Das zweite Stück am Eröffnungstag, präsentiert im Anschluss an eine stimmig kurzweilige Eröffnungsfeier im Freien bei Maroni und heißen Getränken: „Oorlog/ Krieg“, eine Theaterperformance mit Objekten des niederländischen Theater Artemis für alle ab 7 (!).
Regisseur Jetse Batelaan hat nicht nur den Mut, dieses Thema für Kinder weder verharmlosend noch schulmeisterlich aufzubereiten, sondern vor allem auch den Mut zur ehrlich konsequenten Theaterantwort, die da ist respektive sein kann: eine chaotische, eine, der die Worte fehlen, eine, die von einer Hilflosigkeit in die andere fällt; und letztlich eine, die im Bildhaft-Szenischen, im Atmosphärischen das darzustellen versucht, was nicht wirklich dargestellt werden kann. Ein grandioses, in sich in langsamen Einzel-Schritten immer mehr zusammenfallendes Bühnenbild, das am Ende (des Krieges) in wiederum berührender, kindlich anmutender Kleinarbeit in Einzelteilchen andeutungsweise im Sinne von „Wiederaufbau“ wieder aufgestellt wird, ist eine der fein-bildhaft und nachhaltig unter die Haut gehende Ideen. Das in Variationen Suchen nach Sprache, nach Versprachlichung eine weitere, beeindruckend interpretiert von den drei Protagonisten.
Wieweit diese Form der Hilflosigkeit auch bei Kindern ankommt, kann bei den nicht allzu zahlreichen, die bei der lausverkauften Eröffnungsvorstellung am Abend anwesend waren, nicht beurteilt, wegen theaterpädagogischen Vorbereitungen aber angenommen werden; vollkommen still und also aufmerksam waren sie jedenfalls ausnahmslos. Und dass sie wie die Erwachsenen am gleichermaßen einfachen wie tiefgründigem Ende „mitspielten“, in unterschiedlicher Weise - wen wundert’s!? Als nämlich zwecks Bewusstmachung der Gemeinsamkeit – fußend auf Ablehnung von Krieg - von hier und dort, also von Künstlern und Publikum, spielerisch-freudvoll ein kleiner Plastikball in den Zuschauerraum geworfen wurde und zu diesem immer mehr sich gesellten, die zurückgeworfen wurden, wurde aus dem Verbindenden immer mehr ein ausgelassenes Hin- und Herschießen, ein „Ungezügeltes“, das, weil irgendwo „Angriffiges“ aufblitzte, letztlich in ein recht wildes „Abschießen“ mündete, das kaum zu stoppen war… - und das, das ist eben „schlicht“ die harte, also ein Teil der aggressiven Realität.
„8 Fenster“
Ein amüsantes und doch auch nachdenklich machendes Abbild ganz anderer heutiger Realitäten öffnet sich für Menschen ab 15 dank „8 Fenster“. Die menschliche Neugier ist hier der inhaltliche Ausgangspunkt; und dass diese auch „die anderen“ zu befriedigen versuchen und es in digitalen Zeiten wie diesen auch weitgehend können, das ist der Endpunkt, die mehr oder weniger überraschende Erkenntnis bei diesem originellen, laut Untertitel „theatralen Vexierspiels“. Natascha Grassa, Konzept und Regie, gibt mittels Tablets den im öffentlichen Raum stehenden Zuschauern die Möglichkeit in die Hand, in die Privatsphären hinter den Fenstern des Hauses vor ihnen „einzudringen“, die dortigen Gespräche mitzuhören. Am Ende blickt jeder in einen Ausschnitt seines eigenen digitalen und damit öffentlichen Bildes. Auch wenn an den erlebbaren Szenenausschnitten noch ein kleinwenig gefeilt werden könnte: das kaum abzudeckende Interesse an den Vorstellungen und der lange Applaus für die 19 DarstellerInnen unterschiedlichen Alters ist überaus berechtigt.
Spleen 2020: „I Will Be Everything“ am 7. Februar im Theater am Ortweinplatz; „Oorlog/ Krieg“ am 7. Februar im Kristallwerk; „8 Fenster“ am 9. Februar im Theater am Ortweinplatz