Mehrteiligen Programmen haftete in Wien lange der Ruf eines Ladenhüters an, sie würden einfach nicht geschätzt, hörte man da. Das hat sich unter der Direktion von Manuel Legris offenbar geändert, denn auch die letzte Vorstellung des Dreiteilers mit Werken der britischen Choreografen McMillan, MacGregor und Ashton war restlos ausverkauft. Und die TänzerInnen liefen wieder einmal zu Hochform auf, wie zuvor schon bei der letzten Aufführung von Balanchines „Jewels“.
Olga Esina in Kenneth MacMillans „Concerto“ zu Dmitri Schostakowitsch‘ Klavierkonzert ist eine Erscheinung. Elegant, erhaben und exakt tanzte sie, kompetent unterstützt von ihrem Partner Roman Lazik, das Adagio. Die Naturbegabung ist zu einer interessanten Künstlerin gereift, die auch „abstrakte“ Choreografien zu beseelen weiß. Denn Virtuosität ist bei ihr selbstverständlich, wie sie auch zum wiederholten Male in „Diamonds“ an der Seite von Jakob Feyferlik bewies. MacMillan stellte in „Concerto“ seine choreografische Stärke bei den Pas de deux in den Mittelpunkt, und lässt das Ensemble im Hintergrund agieren. Igor Zapravdin am Klavier bewies an diesem Abend sein besonderes Einfühlungsvermögen für die TänzerInnen und schien stellenweise den musikalischen Direktor Fayçal Karoui etwas zu bremsen. Gut so, denn Kiyoka Hashimoto und Davide Duato schienen mit der Geschwindigkeit im ersten Akt vorerst leicht überfordert, korrigierten das aber sehr schnell und boten eine temperamentvolle Einleitung. Alice Firenze setzte als Solistin im dritten Satz eine verspielte Note.
Eine geradezu hypnotisierende Wirkung hat „Eden | Eden“, wenn Wayne McGregor zur Minimal Music mit Text von Steve Reich („Dolly“) Klone aus der Erde wachsen und den Konflikt zwischen Mensch und Technologie verkörpern lässt. Die Choreografie ist kompromisslos und muss in ihrer komplexen Struktur beinahe klinisch kalt und und mit messerscharfer Präzision getanzt werden. Natascha Mair, Nikisha Fogo, Rebecca Horner und Madison Young, Masayu Kimoto, Tristan Ridel, Andrés Garcia Torres, Dimitru Taran und Zsolt Török waren in dieser Vorstellung kongeniale Interpreten. Besonders bemerkenswert ist die Leistung von Natascha Mair, die einerseits in dieser entmenschlichten Welt bestechen, aber etwa auch in Balanchines „Emeralds“ bezaubern konnte; oder von Nikisha Fogo, die wiederum in „Rubies“ die Funken sprühen ließ.
Nach McGregors zweideutigem Blick auf die Welt gentechnischer Möglichkeiten, ist „Marguerite and Armand“ in jeder Hinsicht eine ganz andere Geschichte. Bei der Wiener Premiere hatte ich noch Zweifel, ob dieses Ballett für andere InterpretInnen als jene, für die Frederick Ashton es choreografiert hatte, nämlich für das legendäre Paar Margot Fonteyn und Rudolf Nurejew, überhaupt Bestand haben kann. Bei der letzten Vorstellung, zwei Jahre später, haben mich allerdings Liudmila Konovalova und Jakob Feyferlik restlos überzeugt. Die Hingabe und das Feuer, mit der sie nun diese amour fou tanzten, machte diese Romanze zu einem besonderen Erlebnis. Shino Takizawa ließ die Klaviersonate in h-moll von Franz Liszt in ihrer ganzen Dramatik erklingen. Das verleiht dem stummfilmhaften Charakter des Balletts einen Sinn, der gleichzeitig in krassem Widerspruch zu den Gefühlen der ProtagonistInnen steht.
Ein letztes Mal konnte also dieser Dreiteiler seine volle Strahlkraft entfalten, doch der nächste steht schon vor der Tür: Am 4. März haben die Ballette von András Lukács („Movements to Strawinsky“) Pontus Lidberg („Between Wolves and Dogs“) und Nacho Duato („White Darkness“) im Haus am Ring Premiere.
Wiener Staatsballett: „MacMillan | McGregor | Ashton“, letzte Vorstellung am 24. Februar; „Jewels. Emerals, Rubies, Diamons“, letzte Vorstellung am 29. Jänner 2020 in der Wiener Staatsoper