Doch, es gab einen Ablaufplan. Man spürte das auch irgendwie. Besonders am Anfang. Aber da war eben noch Barbara Kraus, pardon, Johnny. Und Johnny hatte damit ein echtes Problem. Was denn auch tun, wenn man die Freiheit so liebt, so viel zu sagen hat und so viele Gäste und schon so viel getan und erlebt hat und noch so viel vorhat und so viel im und auf dem Herzen hat und nur diese lächerlichen drei Stunden Zeit hat. Laut Plan.
Die Halle G des Museumsquartiers Wien wurde zu einem Festsaal. Gefeiert wurde der Geburtstag der Kunstfigur JohnPlayerSpezial, immer nur „Johnny“ genannt, der als „Agent und Komplize“ der Wiener Performancekünstlerin Barbara Kraus in ihrer Performance „Wer will kann kommen“ vor 20 Jahren das Licht der Kunstwelt erblickte und seit dem mannigfaltige Aufträge erhielt. Hier den, die realen und die fiktiven Freunde, Wegbegleiter und Gefährten der seit 30 Jahren in der, für und durch die Kunst lebenden Barbara Kraus in einer opulenten Feier zu vereinen. Irgendwie.
Johnny's Einladung gefolgt waren Milli Bitterli, Tanja Lalics, Martin Leitner, Elisabeth Löffler, Krõõt Juurak, Frans Poelstra, Christian Polster, Regina Ramsl, Silvia Ribero, Hannes Wurm als Mit-PerformerInnen, als Gäste Gert Dressel, eSeL, Max, Michaela Moser, Angie Rottensteiner, Elisabeth Schäfer, Chris Standfest, Christina Steinle, Brigitte Weich und für die Livemusik Andreas Hamza, Peter Stamer und Fabian Udulutsch (alias Herr Wukitsch). Und im Publikum sah man unter vielen anderen KollegInnen, Verwandten und FreundInnen auch Philipp Gehmacher, Choreograf, Tänzer und bildender Künstler, der in einem wundervollen, sehr persönlichen Text zwei Tage danach so klug und warm über Barbara Kraus schrieb (siehe TQW Newsblog).
Sie spricht an und mit diesem Abend, der ja schon zwei Stunden vorher mit „Wir gehen erst, wenn wir gekommen sind“, einem Gespräch über 30 Jahre ihrer künstlerischen Arbeit mit befreundeten KünstlerInnen, begann und nach der fast vierstündigen Performance in eine Feier mündete, die mit der Musik von DJ Nine, Sketchen von Denke Marlenke und einer berührenden Rede von Daniel Aschwanden garniert war, vielerlei Einladungen aus: Esen, Trinken, Feiern, Gehen, Perspektiven-Wechsel, empathisch sein, die Förderpolitik ändern, die Mittel zur Feier des Lebens deutlich erhöhen, Tanzen, Torte essen und zusammenzukommen, um endlich wegzukommen.
Jener im Vorfeld einzureichende Ablaufplan, der aus Johnny's Sicht geradezu lebens- also kunstfeindlich die künstlerischen Freiheiten beschneidet, war in der Gesamtschau auf die „Performanze“, wie die performende Emanze ihre Kunstform eigen- und hintersinnig nennt, auch nur Gerüst, das durch die immense Fülle der Themen, die Johnny und „der Kraus“ auf der Seele liegen und wortreich in den Raum gestellt wurden, wenigstens in Teilen ad absurdum geführt wurde. Trotzdem: Die musizierenden Gäste Herr Wukitsch am „Bösendorfer“, einem faltbar sperrholz-ummantelten E-Piano, er sang serbokroatisch von der Schönheit des Lebens, und insbesondere Peter Stamer am Klavier und Andreas Hamza (Gesang, Gitarre) mit einfühlsamem Selbstgeschriebenem kamen zu ihren Parts. Und auch die meisten der geladenen Gäste bekamen Zeit für ein paar Worte. Das Wichtigste aber war Johnny.
Witzig, ironisch, bissig, provokant, bitterböse, unerschrocken und unverfroren, schlagfertig, chaotisch und bei all dem ehlich, authentisch und äußerst liebenswert präsentierte Johnny Einblicke in die Gedanken- und Gefühlswelt der Barbara Kraus, ihr bisheriges Schaffen und dessen ethische, moralische und künstlerische Grundlagen. Und immer geht es ihr um Gerechtigkeit! Ihr unbeugsamer Wille zur Freiheit führten sie zum „Becoming“. Sie kämpft für die Freiheit, zu Werden und zu Sein, egal, was und wie. Und so wird das Werden zuerst zu Tanz. Und immer mehr zum Gehen. Weil Leben Bewegung ist. Wer und was sich nicht bewegt, ist tot. Indem man weggeht von da, wo man ist, nähert man sich selbst. Es gibt so vieles, wo man hingehen kann. Und ankommen. Kurz. Dann weiter. Dadurch wird man groß, Viele. Die können heißen Mrs. Twiggy, Aloisia, Blue, Julie, Johnny … Der übrigens und folgerichtig künftig die „critical walking theory“ als „Forschungsbeauftragter“ betreuen soll.
„Wer will, kann gehen“. Das meint Viele und Vieles. Nicht nur eine (so notwendige) Richtungsumkehr. Wir müssen Standpunkte verlassen, ökologische, soziale, politische. Wir müssen neue Perspektiven einnehmen, andere Lebens- und Sichtweisen erforschen und akzeptieren und diese Vielheit einschließen in unser Herz, es damit aufschließen. Und bei und trotz alle dem nimmt diese für die zeitgenössische Kunst Österreichs so Wichtige sich nicht so wichtig. Ihre Selbstironie prägt diesen Abend. Und wie sieht Johnny's Zukunft aus? Ein kleiner dunkelhäutiger Junge betritt in gelbem Hemd und grauer Hose, gekleidet also wie all die Vielen, die Bühne. Die Bilder der Barbara Kraus haben die Größe und die Kraft ihres Herzens.
Barbara Kraus: „Wer will kann gehen“, am 22. Februar im Tanzquartier Wien.