Über dem Eingang ins Studio 1 des Tanzquartiers hängt schräg eine Leinwand, auf die eine Video-Schleife projiziert wird. Die extrem adipöse Performerin Julischka Stengele schüttelt in großformatiger Frontal-Aufnahme ihr nacktes Fleisch über uns. Keine niedlich-dralle Putte blickt da aus den himmlischen Gewölben sakraler Monumentalbauten auf uns herab. Es ist die Fleisch gewordene irdische Repräsentation einer Möglichkeit von Sein.
Die Licht-Brechungen flachen Wassers werden auf ihren Körper projiziert. Sie steht nackt an der Wand, mit dem Rücken zu uns. Ein Glucksen umspült unsere Ohren. Die in Wien lebende freie Künstlerin, Performerin, Textproduzentin, Kuratorin, Organisatorin von Performancekunst und Lehrende Julischka Stengele lässt in „Bodies of Water“ einen, ihren ungewöhnlichen Körper im Wortsinne zur Projektionsfläche werden.
Im Badeanzug schreibt sie auf den Boden, rezitiert den Text. „... Ich bin aus dir gemacht. Ich gehöre zu dir. Mich zu dir zu geben ist wie Heimkommen … Wann immer ich komme, was immer ich bringe, du nimmst mich und trägst mich hinweg. Mühelos.“ Nackt in einen auf den Boden projizierten blauen Pool liegend schwimmt sie, lässt das Publikum lange ihren still liegenden Körper betrachten. Sie wiegt ihr Fett mit den Händen, als täten es die Wellen am Strand. Die Auferstehung aus den sie umspülenden Wassern ist nicht nur eine physische Emanzipation. Und Irgendwann steht sie da in ihrer Schönheit, rüttelt ihr Fleisch, hüpft. Und sie zelebriert die Schlucke aus einem Wasserglas. Der letzte aber wird Fontäne. Die den Wassern Entstiegene wird selbst zur Quelle.
Das Wasser als Heimat. Als Ursprung, Baumaterial und Nahrung allen Lebens. Ein Körper, Zerr-Spiegel für die Unfähigkeit, die eigenen physischen wie psychischen Realitäten zu akzeptieren, wird zum Symbol der Selbstermächtigung. Canettis „Masse und Macht“ und die darin beschriebenen Wechselwirkungen zwischen Tropfen und Ozean scheinen hindurch, wenn ein Tropfen sich extrahiert und exponiert. Die vorsätzliche Separation und Konfrontation als In-Beziehung-Setzen zur Masse ist für Stengele ein natürlicher emanzipatorischer Prozess. Sich dem Druck körperlicher Normierungen entziehend, spricht Julischka Stengele vom Nonkonformismus nicht als Protest oder Widerstand, sondern als demokratisch legitimierte Seinsweise.
Die Stigmatisierung von (extremer) Fettleibigkeit, nur in wirklich seltenen Fällen ist sie Folge physischer Krankheit, mag auch Zeichen sein für die sichtbar gewordene und/oder gemachte und als solche gewertete Ablehnung der Übernahme der Verantwortung für sich und seinen Körper. Problematisch in solidarisch organisierten Sozialsystemen, in denen die gesundheitlichen Risiken der verbreiteten - und zunehmenden - Wohlstands-Korpulenz und deren Folgen von der Gemeinschaft getragen werden. Das jedoch spielte an diesem Abend keine Rolle ...
Julischka Stengele mit „Bodies of Water“, am 6. März 2020 im Tanzquartier Wien.