Raffiniertes Doppelspiel. Es gibt wieder Perspektiven – auch in der freien Tanzszene. Seit dem 25. Juni steht die blaue Tür zu Anna Konjetzkys Studio „Playground“ auf dem Gelände des Kreativquartiers in der Dachauer Straße fürs Publikum offen. Sperrangelweit. So ist zugleich eine optimale Durchlüftung sichergestellt.
Denn auch hier werden alle Hygieneregeln penibel befolgt. Hauptsache, dass sich nach 15 Wochen Zwangspause erneut eine kreativ-enthusiastische Stimmung verbreitet. Endlich auch der Öffentlichkeit zugewandt.
Mit „Lockdown-Sketches“ trifft die Choreografin den Nagel der Zeit exakt auf den Kopf: ein bis in kleinste Details raffiniert abgestimmtes Doppelspiel – aus absolut sehenswerten, weil treffend-ehrlichen Corona-Tagebuch-Zeichnungen Sahra Hubys und aus Miniaturen, die in leere Soundabwesenheit hinein getanzt werden. Gemeinsam mit ihren sich im 20-Minuten-Takt ablösenden Tänzerinnen – Quindell Orton und Sahra Huby selbst – schafft Konjetzky eine sinnlich aufgeladene, humorvoll relaxte Atmosphäre. Schnell entsteht dadurch eine immense Lust zu verweilen sowie zum lang vermissten Austausch zwischen spontanen Eindrücken und Vergleichen mit eigenen Erfahrungen.
Dazu passt das Konzept der künstlerischen Zwei-Stunden-Live-Dauerschleife – bei freiem Eintritt, mit viel Außenplatz und dazugehörigem Alltagslärm. Zu den Time-Slots kann man einfach kommen und innen – jeweils zu acht – die luftig vor Fenstern und Wänden schwebenden Bilder betrachten. Dem choreografischen Teil wird im Flaniermodus durch ein Fenster zugeschaut. Das sorgt zusätzlich für hübsche, ungewöhnliche Impressionen. Auf einem Bildschirm drinnen im Studio sind Huby und Quindell über eine Kameraschaltung stets parallel und rahmenlos von der Nasenspitze bis zu den Zehen zu sehen.
Unbedingt vorplanen via Reservierungen musste man dagegen die Teilnahme an Katja Wachters Premierenserie „Our Daily Post“ an vier aufeinanderfolgenden Abenden im benachbarten Schwere Reiter. Auch Wachter meldet sich als eine der Ersten aus der verordneten Zwangsstille zurück – in unterschiedlichen Besetzungsteams und mit starken wie lautstarken Dialogmomenten mehrerer Performer und Musiker. Jeweils nur 32 Zuschauer bekommen die Gelegenheit, sich der Reizfülle aus kurzen Videoclips, Text, Schauspielerei und Tanz hinzuzugesellen. Eine Performance von (selbst-)reflektivem Charakter. Inhaltlich knüpft man dadurch an Vor-Corona an, dass das derzeitige Abstandsgebot zwar eingehalten wird, aber sonst ästhetisch ausgeklammert bleibt. Zugunsten einer Verbindung von Social Media-Material mit Machartüberlegungen und Betrachtungsweisen von Kunst.
Konjetzky hatte im vergangenen September zur Eröffnung ihrer neuen Räumlichkeiten geladen. Dichtgedrängt wurden damals im angrenzenden Küchenzimmer Speis und Trank gereicht. Nun lässt sie ebendort auf Zetteln angebrachte Memoranden – für abgesagte Projekte, den eigenen Pyjama und vieles mehr – auf einem Podest in schlichte, gut verständliche Bewegungen umsetzen. Episoden mit viel Lachpotenzial sind diejenigen, die das „me with me“, Europas Krisenmanagement, ein Nicht-Aufgeben oder die Hoffnung auf Ausfallhonorar thematisieren. Alles in allem ein feinsinniger Einstieg, bevor am 4. Juli Konjetzkys „Chipping“ – ein Solo für Sahra Huby mit einer Menge flimmernder Bilder und einem Raum voller fahrender Kuben – wiederaufgeführt wurde. Sämtlichst gute Stücke gegen den Hunger nach Tanz!
Bei „Chipping“ allerdings – hier musste sich schon zur Uraufführung vor zwei Jahren eine Interpretin allein in einer Art Großstadtdschungel gegen knallharte Wände, spitze Ecken, gerade Schienen, gefährlich Spalten und enge Abgründe behaupten –bleibt eine Gewissheit nicht aus: Unter den derzeitigen Bedingungen rezipieren wir vieles in bestehenden Stücke fast schon automatisch anders. Umso cooler kam der Hinweis der Tänzerin am Ende an: „Das Foyer ist zwar geschlossen, aber wir gehen jetzt noch ins Lokal an der Ecke was essen. Kommen Sie gerne dazu!“ Tolle Corona-Paradoxie…
Anna Konjetzkys „Lockdown-Sketches“ (Ausstellung und Performance) am 25. Juni und 4. Juli 2020 im Playground München; Katja Wachters „Our Daliy Post“ (Improvisationsperformance) am 28. Juni im Schwere Reiter München.