Zum fünften Mal ging in Klagenfurt das kleine, aber feine Tanzfestival „Pelzverkehr“ erfolgreich über mehrere Bühnen, hat es Intendantin Ingrid Türk-Chlapek doch geschafft, alle wichtigen Institutionen der Kärntner Landeshauptstadt einzubinden. Die Nervosität angesichts möglicher Corona-bedingten Überraschungen war ihr am Final-Wochenende anzusehen, doch zum Glück konnte fast alles wie geplant stattfinden.
Ein Highlight gab es schon am vorletzten Abend in der theaterHALLE11 zu erleben, „Glowing current moods“ von Sophia Hörmann. Das Stück war bereits mehrfach zu sehen, z.B. im Rahmen von imagetanz in Wien. Sie ist eine charismatische Tänzerin, die sich selbst in Bewegungsstudien kinästhetisch erforscht und das Ergebnis künstlerisch transformiert. Fast schon ein Markenzeichen ist ihr „Sliding“, wenn sie am mit Vaseline präparierten Boden wie eine Eisschnellläuferin zu Technobeats von Adolfo Garcia gleitet, jedoch extrem langsam, wie in Zeitlupe. Es erinnert an ein biomechanisches Training im Sinne des russischen Avantgarde-Theatertheoretikers Wsewolod E. Meyerhold, um über permanente Wiederholung langsamer Moves zu innerer Bewegtheit zu gelangen.
Ein weiterer Aspekt ist die mediale Verdopplung mittels Videowall. Man sieht Hörmann zu Beginn live im Halbdunkel, wie sie sich zur Vorbereitung die Beine einölt, und zeitversetzt auch großformatig auf der Videowall. Später nur ihr Gesicht, mit reduzierter Mimik. Die „current moves“ sind vielschichtig und uneindeutig. Hörmanns Kostüm erinnert an die gerüschten Kreationen von Eiskunstläuferinnen, doch es ist mehr ein Zitat aus hellem Latex, dekorativ und gleichzeitig nicht richtig. Der Höhepunkt vollzieht sich in der ikonischen Bewegung des klassischen Tanzes schlechthin, der Arabeske. Danach vollzieht Hörmann eine Metamorphose, windet sich aus ihrem Trikot und wird zu einem anderen Wesen mit weißer, geschmückter Maske. Maske. In dieser „Mood“ ist offenbar Bewegung nur am Boden möglich. Es bleibt rätselhaft, und das ist gut. Theater soll keinesfalls immer unter einem semiotischen Diktat stehen.
Der letzte Festivaltag ist dicht programmiert. Er startet im winzigen Jugendstiltheater mit dem Kurzfilm „…das weite Land, woher sie kommt“ von Isa Rosenberger und Loulou Omer. Hier wird eindrucksvoll an die österreichische Tanzmoderne der Zwischenkriegszeit erinnert, die leider nicht mehr im kollektiven Gedächtnis verankert ist. Gertrud Kraus war eine der Protagonistinnen, die mit expressivem Tanz und gesellschaftspolitischen Stücken zu den Vorläuferinnen des späteren Tanztheaters zu zählen ist. Ein wichtiges Statement, doch schade, dass diesem Thema nicht mehr Raum gegeben wurde.
Im Künstlerhaus folgt dann „Bloom“ von und mit der in Graz lebenden Brasilianerin Clarissa Rego. Es ist eine Nackt-Performance samt Trigger-Warnung im Programmheft und zusätzlich von Türk-Chlapek persönlich ans Auditorium gerichtet, wie das heute in den USA üblich ist: „Nicht empfohlen für Menschen, die sensibel auf Nacktheit reagieren“. Das wirkt befremdlich, denn seit Jahrzehnten ist Nacktheit ein theatrales Mittel im zeitgenössischen Tanz. Auch ist hier Türk-Chlapeks didaktischer Hinweis nicht hilfreich, denn „Nacktheit“ wird in dieser Arbeit eigentlich nicht verhandelt. Zu erleben ist die Künstlerin in skulpturalen Körperbildern, doch es gibt keinen Bezug zur aktuell im Künstlerhaus gezeigten Ausstellung „Zur Genealogie der Dinge“. Rego kommt nackt hinter einer Wand hervor und steigt auf eine Art hölzerne Stufenleiter. Sie kauert sich auf die oberste Ebene und bietet ihren Körper dem Guckkastenblick des Publikums dar. Alle paar Minuten dreht sie sich und ändert die Position, gelegentlich grimassiert sie auch und setzt ihre Stimme ein. Letztlich bleibt aber eine Leerstelle zurück, denn einen nachhaltigen Fokus, der „Nacktheit“ tiefergehend beleuchtet, hat die Künstlerin nicht vermittelt.
Gleich danach gibt es im Stadttheater „Firebird“ von Ana Pandur gemeinsam mit dem E-Gitarristen Damir Avdić aus Slowenien, und der Programmtext verspricht „Flamenco und Heavy Metal“. Zu rockigen Riffs und von Avdić gesprochenen poetischen Texten in slowenischer Sprache tanzt Pandur in langem, grauen Rock Flamenco-Schritte, stets auf den Mann bezogen, der ihr ständig in aggressiver Manier wie ein Rockstar quasi auf die Pelle rückt. Dann entledigt sie sich des Rockes und der Tanzschuhe und tanzt weiter in Hosen und Doc Martens. Hat sie sich nun aus seinen Fängen befreit?
Dem Programmtext entnimmt man, dass die offenkundige Lesart als Mann-Frau-Ding offenbar so nicht stimmt, denn es geht eher allgemein um „Freiheit“ und das „Aufbegehren der Punk-Bewegung“. Auch um die „Rebellion des spanischen Flamencos“ gehe es, und das ist problematisch in Zeiten des Diskurses um „Cultural Appropriation“. Es ist schon klar, dass Pandur, offensichtlich klassisch ausgebildet, den Flamenco großartig beherrscht und empfindet. Doch im Prozess der künstlerischen Transformation wäre es erforderlich, auch das Medium, das in ihrem Fall ein angeeignetes ist, in seiner Verwendung zu reflektieren. Sie ist nun mal keine Andalusierin, und wenn das nicht diskursiv erörtert wird, verbleibt das Ganze eng an der Grenze zum Kunsthandwerk, zur Show.
Das Festival endet mit einer tänzerisch ausgezeichneten Arbeit des italienischen Duos Ginevra Panzetti und Enrico Ticconi, „Harleking“, in der die tradierte Figur des Arlecchino der historischen Commedia dell’arte oder eigentlich „Commedia all’improvvisso‘, wie man heute dieses Theaterphänomen zwischen 16. und 18. Jahrhundert wissenschaftlich bezeichnet, gestisch in vielen Nuancen paraphrasiert wird. Hier hat man klar vor Augen, wie tief diese faszinierende Theaterform in den Genen italienischer KünstlerInnen verankert zu sein scheint. Die beiden vollziehen eine Art schräges Reenactment aus tänzerischer Perspektive, denn die historische Commedia war ein unerschöpfliches, prädramatisches Konglomerat heterogener theatraler Formen wie Spiel, Tanz, Gesang, Pantomime und Akrobatik und entzieht sich bis heute einem gesicherten Wissensstand. Am Ende vollführt Ticconi diesen speziellen, fröhlichen Sprung, und man meint geradezu, das legendäre „Eccomi!“ des Arlecchino zu hören.
Also ein Schluss in fröhlicher Mood, und man darf gespannt sein auf eine weitere Ausgabe im kommenden Jahr. Wünschenswert wäre vielleicht noch, anstelle der regelmäßigen und mitunter etwas belehrenden Anmoderationen Türk-Chlapeks vor den Performances, die einem angeblich im zeitgenössischen Tanz unerfahrenen Klagenfurter Publikum auf die Sprünge helfen sollen, eine Art „Theorie-Schiene“ mit Diskussionen unter ExpertInnen und KünstlerInnen zu organisieren. Da könnte Tanz heute in all seinen Facetten ausführlich beleuchtet werden, denn es gibt nicht ein spezifisches Charakteristikum, was Tanz ist oder nicht ist. Die Performances selbst sollte man frei erleben können, ohne Vorgaben.
Pelzverkeh am 25. und 26. September. www.festivalpelzverkehr.at