Es sollte ein Stück über die Geschichte Kärntens im 20.Jahrhndert werden. So lautete jedenfalls der gemeinsame Plan zweier Bleiburger Künstler: der von Jazz-Saxophonist Karlheinz Miklin und von Johann Kresnik, des erfolgreichen Tänzers, wegweisenden Choreografen sowie Begründers des Choreographischen Theaters. Geworden ist es - nach beider Tod 2019 - eine feinfühlig informative Hommage an Kresnik und (s)eine Suche nach Wahrheit.
Eine Suche, auf die sich künstlerische Wegbegleiter Kresniks für ihn, über ihn und seine Zeit gemacht haben. Eine, deren Fundstücke von enormer Vielfalt und Zwiespältigkeit wie auch thematischer Dichte sind und: die ein unvergessliches Ganzes ergeben.
Das Premieren-Publikum dankte mit kaum zu dämmendem Applaus und Standing Ovation dem Leitungsteam, bestehend aus Stefan Thaler und Band (Musik) , Christina Comtesse (Choreographie), Christoph Klimke (Dramaturgie) und Hannes Hametner (Regie), den ausführenden KünstlerInnen und engagiert beteiligten Laien-PerformerInnen des Bewegungschors.; nicht zu vergessen Gottfried Hellnwein, der mit ungewöhnlichen Kostümen und einprägsamer Maske nicht nur wiederum zu überraschen versteht und atmosphärisch in den Bann zieht, sondern auch mit seinem grundsätzlich zurückhaltenden Bühnenbild, ergänzt durch einige wenige Projektionen, zielsicher ins Schwarze trifft: mit der weitgehend leeren Bühne, auf der lediglich eine Art stilisiertes Monument mit Erinnerungstafel unumstößlich seine Stellung hält. Es kann zwar, wie es auch mit dem Wort „Verräter“ geschieht, bemalt und damit in Frage gestellt, aber letztlich nicht einmal mittels Elektrowerkzeug maßgeblich beschädigt oder gar entfernt werden.
Und derartigen Unveränderbarkeiten sieht sich der Protagonist, der Anarchist und ewige Kommunist im Herzen von Beginn an ausgeliefert. Obwohl kein Niemand, sondern „Jemand“, also eine Persönlichkeit, nicht wenig verwandt einem Peer Gynt und in so manch Biographischem annähernd deckungsgleich mit Kresnik, der hier Karl heißt, ist er ein Suchender. Ein sensibler wie kompromissloser, ein hilfloser wie radikaler – ein aussichtsloser, selbst mit der Axt in der Hand; Wesenszüge, die sein Darsteller Andreas Seifert mit sparsamer wie expressiver Prägnanz vermittelt: Als Beobachter, Erzählender, Agierender und Argumentierender. Allein: „Was sollst du, was willst du, wozu“ heißt es noch gegen Ende in einem der vielen, wunderbaren Textpassagen dieses tiefgründigen, allgemeingültigen, biographischen wie historisch verwurzelten, hoch relevanten Stückes. Und eben diese Verbindung thematischer Komplexe ist es, die, wiewohl im Grunde aus Einzelszenen ohne durchgehenden Plot konzipiert, mit einer einhämmernden Homogenität hier gelingt.
Nicht zuletzt, weil sich die theatrale Umsetzung sehr wohl - aber ohne des Kopierens bezichtigt werden zu können - an Kresniks außergewöhnlicher, abstrakt-brutaler Darstellungssprache anlehnt. An seine sinnliche, in keine Schublade einzuordnende Bilderflut, die eingebettet ist in Bewegungsfluss, in Wort und Musik. Irina Lopinski deckt als Sängerin die hier geforderte interpretatorische Bandbreite ganz wunderbar ab¸ ebenso wie Reinhard Wulz die theatral darstellerische. Friederike Pöschl füllt mit berührender Wandlungsfähigkeit überaus glaubhaft ihren Part der starken, nachfragenden wie fordernden Frau an Andreas Seiferts Seite aus; so wie auch und weitgehend als Gegenpol zu ihr, Johanna Heinz ihre Facette von Weiblichkeit gut zu gestalten versteht.
Viel Lob gebührt den Tänzerinnen Osvaldo Ventriglia, Urko Fernandez Marzana, Vincent Wodrich, Angelica Mattiazzi und Lia Ujčič, wobei die besonders markante, Kresniks Handschrift nahestehende darstellerische Fähigkeit von Marzana zusätzliche Anerkennung verdient. Aber sie alle sind es, die für das stehen und prägend agieren, was nicht in Worte zu fassen ist; vielgestaltig und mitreißend wie etwa im Liebesakt in einem Pas de deux. Neben zwischenmenschlich Positivem sind sie es aber vor allem auch, die all das Unsagbare, das Ungesagte und Verschwiegene, das allgemeine Schweigen fühl- und sichtbar machen. Das, was sich politisch und gesellschaftspolitisch an Spaltendem und Zerstörerischem ungeklärt und unerklärbar in vielen Jahrzehnten in diesem Land abspielte, maßgeblich das Leben aller prägend.
Das nahtlose Zusammenspiel aller hier eingesetzten Künstler und Kunstformen lassen Wahrheiten im undurchsichtigen Geflecht der Fakten und Fakes erahnen – während man so manches Mal nach Luft schnappt.
CCB Bleiburg/Pliberk: „Jemand. Nekdo“ am 16.Juli 2021 im Kulturni Dom Bleiburg / Pliberk. Weitere Aufführungen am 20., 21., 23. und 25. Juli