Ein Liebespaar nimmt sich vor, mit seinem Publikum „wirklichen Kontakt herzustellen und aufrichtig ein Stück unseres Lebens zu teilen.“, indem beide von ihren sexuellen Erfahrungen und ihren Lieben, in Historie und Gegenwart, berichten. Kaori Ito und Théo Touvet: sprechen und tanzen von Liebe und Sex. Ganz offen. Kann das gelingen?
Der Ansatz ist nicht neu. Vielfach schon wurde versucht, die natürliche Distanz zwischen Bühne und Publikum zu überwinden. Mehrfach durch Eindringen in den eigenen Intim-Bereich. Und in den des Publikums. Die japanische Tänzerin und Soziologin Kaori Ito lebte, studierte und arbeite in Tokio und New York, bevor sie sich 2003 in Frankreich ansiedelte, um dort auch bei namhaften Choreografen wie Angelin Preljocaj, James Thierrée, Sidi Larbi Cherkaoui, Guy Cassiers und Alain Platel anzuheuern. Seit 2008 entwickelt sie eigene Arbeiten. In den Jahren 2015-18 entstand eine stark autobiografisch geprägte Trilogie. „I dance because I do not trust words“, ein Duett mit ihrem Vater, war bereits 2016 bei ImPulsTanz zu sehen. „Fire me up“ und „Robot, Eternal Love“, ein Solo über Einsamkeit und Tod, folgten 2017 und '18. Den Schauspieler, Tänzer, Musiker, Akrobaten und Zirkuskünstler Théo Touvet führten seine Studien und Arbeiten von Frankreich schon in die USA, nach Kanada, Indien, China und an die Wiener Staatsoper. Ihre Geo-Biografien führten die beiden in Paris zusammen, wo sie sich kennen und lieben lernten. Und dann schufen sie „Fire me up“, hier als österreichische Erstaufführung zu erleben.
Den ersten Teil des Abends bestreiten beide getrennt mit je einer Hälfte des Publikums. In einem möglichst distanzarmen Setup erzählen sie. Kaori Itos Liebe wurde mit 2 geboren, als sie mit ihrem Vater Sterne anschauen war. Ödipus. Sie sprach von ihrem ersten Orgasmus mit 8 in einem Jacuzzi, dem ersten Freund mit 15, dem ersten Sex, bei dem sie „gar nichts spürte“, dem ersten „richtigen Mann“ mit 17 und so weiter. Ihr Leben trieb sie durch die Welt, die wiederum trieb ihr die Männer, 40 bislang aus aller Herren Länder, in die Arme und ihr Bett. Und immer wieder spricht sie das Publikum an: „Kennen Sie das auch?“ Oder so. Sie redet auch von ihrer Angst, verlassen zu werden, von Enttäuschungen und Irrtümern. Aber meistens von Sex. Manchmal ist's auch lustig. Wenn sie dem europäischen „Kommen“ das japanische „Gehen“ gegenüberstellt. Selbst als sie, beim Warten auf ihn, von ihrem Kind redet, als Mutter fühlt sie sich nützlich, wird es nicht warm. Weil von emotionalen auch nur Resten ihrer aufgelisteten Abenteuer wenig bis nichts zu spüren ist, bleibt die Plauder-Dreiviertel-Stunde, wohl anders als angestrebt, irgendwie kühl.
Doch das ändert sich. Denn jetzt kommt Théo, und mit ihm die andere Hälfte der bislang vornehmlich Zuhörenden. Er stellt sich zu ihr. Noch sind beide bekleidet, stehen in dem stählernen Ring in der Mitte der leeren Bühne. Sie bewegt ihn, er bewegt sie. Seine Versuche, sie zu erreichen, scheitern. Sie entwindet sich. Bachs Polyphonie. Noch kein Kuss. Er begehrt ihren Körper. Beide außerhalb des Kreises. Problematische Annäherung. Er übersetzt uns ihre paradoxe Kommunikation, wie ihr „Ich gehe!“ in „Ich liebe dich!“ Missverständnisse. Sie entkleiden sich gegenseitig, bis auf den Slip. Sprache nähert sich an. Hände im Slip des Anderen. Afrikanische Rhythmen, Synchronisierung. Der Körper des Anderen wird erforscht. Und gereinigt von allem Gewesenen. Sie probieren sich aus. Und den Anderen. Viele sehr schöne Hebungen. Ihr Tanz erzählt von Harmonie, sich ergeben, sich hingeben. Verwunden und verschlungen. Er macht sie groß. Vertrauen und Vertrautheit. Fürsorge. Jetzt auch die Slips noch. Ungestüm. Ruhe, Geborgenheit.
Nun kommt der Reifen, das so genannte Cyr-Wheel, ins Spiel. Sie klammert sich ganz fest an ihn. Er steht im Reifen, dreht ihn auf der Stelle, rollt ihn in Kreisen über die Bühne. Sie haben schon so Einiges gemeinsam durchlebt und überstanden. Das Schlussbild. Sie legen sich zum Liebesspiel in den dem Liegen entgegen trudelnden Ring. Immer lauter wird sein Rasseln auf dem Boden, immer wärmer das Licht. Als er plötzlich liegt, still, verlischt auch das Licht. Wow.
Beide sind hervorragende Tänzer. In Verbindung mit seinen akrobatisch-artistischen Fähigkeiten schaffen sie es, die Geschichte ihrer Liebe mit all ihren stärkenden Wirren erfahrbar zu machen. In schönen Bildern und mit einer nicht nur körperlichen Harmonie und Sinnlichkeit, die selten auf der Bühne zu erleben sind.
Kaori Ito & Théo Touvet: „Fire me up –Spoken and danced confidences” am 5. August 2021 im Odeon im Rahmen von ImPulsTanz.