Es hätte interessant werden können. Die Kombination aus Burgtheater-SchauspielerInnen und MUK-Studierenden unter Anleitung der israelischen Choreographin Saar Magal ließ durchaus einen spannenden Abend im Kasino erwarten. Am Ende dominierte aber der Eindruck, dass hier das Team einer Schauspielschule das Genre „Performance“ erproben wollte, mit einer großen Kiste voller bunter Requisiten und mehr oder weniger guten Texten.
Vogelgezwitscher bereitet die Atmosphäre der noch fast leeren Bühne auf. Nur zwei felsähnliche Kunststoffformen liegen da, als das neunköpfige SchauspielerInnen/TänzerInnen-Ensemble hereinkommt, alle gekleidet in Trainingsjacken, Herrenunterhosen und Highheels. Die erste Choreographie ist eine Abfolge asiatischer Kampfsport-Bewegungen, deren synchrone Ausführung eine erfahrene Tänzerin (Gail Skrela) mittels lauter Atmung leitet. Interessant, wie hier das ideologische Setting des Abends etabliert wird – für alle Geschlechter gilt die gleiche Ordnung. Dies wird durch die folgende Tanzszene erhärtet, wenn sich die AkteurInnen in Reihen von hinten zum Publikum vorwärtsbewegen, dabei aber immer einen Highheel ausziehen müssen, um diesen dann vor sich abzustellen und gleich wieder hineinzuschlüpfen. Eine technische Herausforderung für Männer und weniger tanzerfahrene SpielerInnen.
Dann ziehen sich alle on Stage um. Frauen tragen nun Abendkleider und Männer Anzüge und alle behalten Highheels an. Eine Gruppe umtanzt eine junge Frau wie in einem rituellen Akt, bis sie fällt und sich absondert. Es stellt sich die Assoziation mit der entsprechenden Szene in „Le Sacre du Printemps“ ein und man wertet das als gelungenen choreographischen Coup. Die Tänzerin entkleidet sich bis auf die Unterwäsche und bewegt sich auf einmal wie eine Marionette. Schon kommt eine andere Tänzerin mit der Haltung einer Domina und bewegt die Gliedmaßen der ihr gefügigen Puppe. Dazu gesellt sich ein Akteur und die Tanzpuppe muss auf Geheiß der Domina pornographische Positionen mit dem Mann einnehmen, die auf offensichtlich ironische Weise ein voyeuristisches Publikum adressieren.
Doch nach diesen vielversprechenden ersten zwanzig Minuten fällt das Stück abrupt steil ab und verliert sich immer mehr in einer Nummernabfolge von Einfällen. Bald beginnen die sprachlichen Einschübe, zuerst von den SchauspielerInnen, natürlich. Ist ja deren Domäne. Doch was sie zu sagen haben, ist halblustig bis trivial. Da berichtet einer von seinem auf einer Party verlorenen Penis, den er am Wiener Flohmarkt wiedergefunden hat. Ein anderer mutiert zur Video-Influencerin und Online-Verkäuferin mit blonder Perücke, während gleichzeitig eine Poledance-Show der anderen AkteurInnen läuft. Eine alternde Schauspielerin hält eine Dankesrede, in der sie sich über den ihr widerfahrenen Sexismus und sonstige Übelkeiten beklagt.
Das Tanzvokabular ist insgesamt schlicht und mäßig interessant, jedoch herrscht immerhin während der ganzen zweistündigen Performance ständige Bewegung auf der Bühne. Es wird nämlich permanent etwas an Zeug hergebracht und wieder umgeräumt, von Plastikbäumen bis zu Fake-Blumen, Plüschtieren und Spielzeugrobotern. Ein kurzer interessanter Moment findet sich noch, als das Bühnenbild aus einer Art kitschigen Pastorale in eine verramschte Landschaft mit allem Möglichen kippt. In diesem Sammelsurium verkleiden sich alle permanent neu, in bunte, queere und fetischhafte Klamotten. „Do things nice and sexy“, sagt jemand währenddessen.
Das ist der Schlüsselsatz des Abends. Alles ist irgendwie nett und ein bisschen sexy, ein großer und teurer Spielplatz, denn es ist ja auch eine Staatsbühne der Produzent. Zitiert wird alles, was in einer bestimmten Gesellschaftsschicht gerade en vogue ist. Böses Patriarchat, böser Kapitalismus, böse Homophobie, böser Seximus, böse Selbstoptimierung! Guter Feminismus, gute Sexualität! Konzise künstlerische Analyse findet dabei nicht statt. Es ist Wellness-Kritik einer Feelgood-Company. Die Welt ist böse, aber wir sind die Nice Guys und haben es trotzdem fein! Party with us!
Die Programmheft-Dramaturgie geht hier sogar auf, denn im Interview sagt Magal: „Meine Intention ist, dass sich die Zuschauer*innen durch den Abend fühlen. Mehr, als sich durch den Abend zu denken.“. Mit den gegenwärtigen spannenden Performance-Formaten hat diese Revue nicht viel gemein, im Gegenteil, sie wirkt verschroben und nicht gerade am Puls der Zeit. Heftiger Applaus, aber es war ja auch Premiere mit Friends and Family.
Saar Magal: „(Ob)Sessions“, 22. September 2021 im Burgtheater im Kasino