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She02Aber wer ist sie? Dass wir, die Zuseher, diese Frage stellen, ist nicht weiter verwunderlich. Dass aber auch sie, die Performerin, die Tänzerin, sich über ihre Identität nicht im Klaren ist, das überrascht und lässt mit- und nachdenken. Dazu wird das Publikum freilich ohnehin von Beginn der Vorstellung an ermuntert, von laufend wechselnden Text-Einblendungen angeregt.

Astrid Julen (CH) sitzt selbstversunken auf einer nahezu leeren, spärlich erleuchteten Bühne, bewegt langsam und anscheinend nachdenklich ein wenig ihre Hände, ihre Arme. „What is exposed?“, „Who is she?“ Zahlreiche Fragen und Feststellungen in etwa dieser Art begleiten den Rezipienten durch die knapp einstündige Tanzperformance. Es sind mehr oder weniger seine ureigenen Gedanken, die auf die Hinterwand der Bühne projiziert zu lesen sind. 

Zweifellos häufig gedachte. Selten überraschen sie daher. Vielmehr mag sich der eine oder andere allerdings ‚ertappt‘ fühlen: „boring“ oder aber auch bestätigt in seinem Erstaunen: „Why so long?“ (die Tänzerin steht einige Minuten regungslos im Bühnenvordergrund) oder in seiner Verunsicherung: „I didn’t get it“. She01

Auf jeden Fall wird er in die hier dargestellte Thematik subtil über Ecken eingeführt: Denn was sie, die Tänzerin, wie und warum sie respektive ihr Körper all dies hier tut, dazu stellt sich auch die Protagonistin selbst grundsätzliche Fragen. Nicht wirklich zu trennen von jenen, wo ihr Körper und damit „SHE“ aufhöre und „sie“, die Person, beginne. 
Eigenwillig agiert sie mit den auf der Bühne abgestellten Scheinwerfern: Eine Art Intimität zwischen ihr und der Technik entsteht, zwischen lebendigem Körper und Maschine. Getoppt wird derlei Verbindung durch Sensoren, die sie sich später um ihre Handgelenke legt, und die ihre Bewegungen sonifizieren, eine Geräusch- und Klangfläche entstehen lassen - kreiert von einer sehr engen Technik-Mensch Symbiose.

Es sind immer wieder sehr dichte Szenen, tänzerisch und bewegungstechnisch vielfältig und faszinierend, gekonnt präsentiert.

She04Allein, sie zu dechiffrieren ist, wie immer wieder in der Kunst ganz allgemein, eine Herausforderung. Eine Unmöglichkeit bekanntlich, sie mit Worten adäquat wiederzugeben oder gar zu erklären; und so scheitert auch die Tänzerin, wenn sie das Mikro ergreift und nach lautlosen Versuchen dann „immerhin“ unverständliche Geräusch und Lautgemische von sich geben kann; zuletzt sind es sogar Schlagwörter, die als Klischees blitzlichtartig Einblick in ein Tänzerleben geben.

Die perspektivenreiche Künstlerin-Publikum Interaktion wird deutlicher: „I want so see her emotions.“ Astrid Julen beginnt zu lachen, immer wieder, immer mehr – doch das ist in dieser Art und Form nicht das, was als Kunst empfunden und rezipiert wird: „Not impressiv… now she looks artificial“. Und doch wird dank der hier geschaffenen Metaebene eben diese, die Kunst, ein wenig greifbarer. Theoretisch und in dem, was als Tanz im Laufe der Performance geboten wird; in stimmiger Weise, weil mit ironisierendem und damit eher für Reflexion zugänglichem Abstand: in verfremdeten Formen von Ballett. She07

Gegen Ende verbalisiert Astrid Julen in ein paar klaren Sätzen ihr Dilemma: in Englisch vorgetragenen, die einer aus dem Publikum zu übersetzten aufgefordert wurde; warum, das erklärt sich als eine der wenigen Kreativ-Highlights nicht unbedingt. Was aber nichts daran ändert, dass diese Tanzperformance verdienterweise den Preis Vivo d’Arte des Romaeuropa Festivals gewonnen hat.

Asrid Julen: „She“ (Regie: Nina Khyzhna, Produktion von Ninja Guru Studio ninjaguru.eu) am 11. November 2021 im Theater am Lend

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