Einen unheimlich schönen Moment gibt es in dieser Herbst-Matinee der Münchner Heinz-Bosl-Stiftung für jungen Tänzernachwuchs: Da liegt ein Mädchen am Boden und singt a cappella ein italienisches Schlaflied. Zwar verrät das Programm ihren Namen nicht, aber das finale Stück „UnHeaven“ der Choreografin Martina La Ragione im Münchner Nationaltheater wird dadurch stimmlich ergreifend-famos eröffnet.
Die Uraufführung der gänzlich auf einem Teppich von weißen Federn inszenierten Choreografie war im Februar nur als Stream zu erleben gewesen. Nach pandemiebedingt bald zwei Jahren ohne Auftritte vor Münchner Publikum durfte sich nun Ivan Liškas Bayerisches Junior Ballett endlich wieder live im vollbesetzten Nationaltheater präsentieren. Allerdings in neuer Besetzung, da die jungen Tänzer jeweils immer nur zwei Jahre Mitglieder der Nachwuchskompanie bleiben dürfen.
Während sich musikalisch Orffs Frühwerk „Tanzende Faune“ mit Auszügen seiner gemeinsam mit Gunild Keetmann komponierten „Musica Poetica“ zu einem klatschfröhlichen, trommelseligen Begleitsound verschränken, wirbeln 15 Tänzerinnen und Tänzer mal temperamentvoll, mal in sich versunken umher. Bis am Ende ihre Bewegungen im schummrigen Bühnenraum ganz zum Erliegen kommen. Dieses so poetische wie geheimnisvoll-energiegeladene Tanztheaterstück wird im ersten Teil durch ein Werk kontrastiert, das fast reine musikalische Visualisierung ist.
Jörg Mannes' „Unsterbliche Geliebte“ zu Beethovens 4. Klavierkonzert fordert die Junioren mit allerlei technischen, auch solistischen Schwierigkeiten heraus. Frauen und Männer begegnen sich in schnell wechselnden Gruppenformationen oder auch in intimeren Quartetten, Trios oder Pas de deux. Bislang war die Choreografie nur digital zu sehen und besticht nun in der Totale durch saubere Ausführung und stimmige Begegnungsakzente der Interpreten sowie eine generelle Klarheit ihrer Struktur. Für die kleineren Kinder im Publikum mag sie sich dagegen etwas in die Länge ziehen. Eine orchestrale Livebegleitung wie im Frühjahrs-Stream – das wäre hier das Tüpfelchen auf dem i gewesen.
Musik aus dem Orchestergraben gab es bloß zu Beginn. Das Jugendensemble Volta der Musikhochschule spielte unter Leitung von Marc Podolski beherzt auf. Davon profitierten 13 Studentinnen und Studenten der Ballettakademie auf der Bühne. Sie zeigten ein farbenfrohes, romantisches Divertissement aus dem Ballett „Napoli“, das für seine unbedingt notwendige Leichtigkeit wie Flinkheit der Füße legendär ist. Der für den 28. November eingeteilten Riege konnte man am 21. November nur die Daumen drücken, dass ihre Drehungen und Sprünge ebenso sitzen mögen – dabei zusehen durften ihnen allerdings nur mehr 500 Zuschauer.
Weniger überzeugend erwiesen sich zwei Paare im zeitgenössischen Beitrag des Vormittags, einem Ausschnitt aus Davis Russos „Granparty(ta)“, der als in weißer Unterkleidung dahinfließendes Partnerwechselspiel daherkam. Statt – wie ursprünglich wohl angedacht – von Podolskis „Volta“-Ensemble live gespielt erklangen Mozarts schillernde Klänge des Adagios aus der Serenade Nr. 10 „Grand Partita“ KV 361 für die vier Tanzstudenten der Ballettakademie irritierend verzerrt vom Band. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen.
Zuvor hatte Dmitri Sokolov-Katunin als Verantwortlicher für das Fach Charaktertanz eine Formation Schülerinnen durch traditionell arrangierte Nummern gejagt – vom Tanz mit dem Tamburin bis zum Flamenco. Dazwischen durften die Jungs den Spaßvogel geben und sich anschließend in die russische Beinarbeit hineinknien. Die Mühe aller wurde mit heftigem Applaus belohnt.
Die Heinz-Bosl-Matinee am 21.11.2021 im Münchner Nationaltheater