… oder Gewalt ist nicht aller Dinge Anfang. Mit liebevoller Akribie werden die jungen Männer in der eröffnenden Szene zu Soldaten gestylt – genauer hingesehen und gesagt: sie machen sich gegenseitig zu dem, was sie gelernt haben, voneinander und jeweils von sich selbst zu erwarten und zu wollen- scheinbar jedenfalls: sie wollen doch alle stark und kampfbereit sein?
Giacomo Veronesi, international tätiger Regisseur und Performer aus Mailand, versucht in seiner neuen Arbeit, in Auftrag gegeben und produziert von steirischer herbst ´22, hinter die Männer-Kulissen zu schauen. Sammy Van den Heuvel, verantwortlich für den Raum, veranschaulicht diese Intention bereits in der Gestaltung der Räume des Bruseums (Neue Galerie Graz), indem er sie mit weißen Gipsplatten verstellt so wie unterteilt und diese mit kleinen Tafeln versieht; beschriftet beispielsweise mit ´dahinter Kabel´, zumeist aber mit ´dahinter (?)´.
Veronesis Dramaturgie arbeitet vor allem mit Perspektivenvielfalt, formal wie inhaltlich. Seine Akteure – in diesem Fall beim Bundesheer ausgebildete Männer – legen in der ersten Szene letzte Handgriffe an ihre soldatische Bekleidung: Fältchen werden geglättet, gekrümmte Härchen glattgestrichen, unsichtbare Fusel sorgfältigst entfernt etc.; die sinnlose Vorbereitung auf etwas, dessen Sinn in Frage gestellt wird und zu stellen ist, ist in dieser ersten „Einstellung“ auf (überraschende) Bilder der Männlichkeit, besonders intensiv. Wobei für die gesamte Performance gilt: ihre Hauptkraft liegt in der Enttäuschung von Publikums-Erwartung – und so was geht natürlich unter die Haut, prägt sich ein.
Sie wirkt nachhaltig, ob in der Form von „erstaunlich“ gefühlvoller Körperbewegung, von individuellem. kurzen Erzählen persönlicher Erfahrungen oder ganz besonders mittels niedergeschriebener und damit nachzulesender Kurztexte der Akteure zu dem, was sie unter „safe space“ verstehen. Also dem, was titelgebend „A Safe Space for Male Bodies (2022)“ im Fokus dieser Veranstaltung steht - des diesjährigen steirischer herbst ´22 – EIN KRIEG IN DER FERNE. Für die hier zu erlebenden Männer ist es immer wieder ein Raum, wo sie ungehindert sie selbst sein dürfen und können; nicht mehr und nicht weniger.
In mehrfacher Weise wird das Publikum miteinbezogen: Das, was die Akteure, mit schwarzer Kreide und beginnend mit „ich gelobe…“ an die Wände eines Raumes geschrieben haben – „ich gelobe nichts, was ich nicht halten kann“, „ich gelobe, dich nicht zu vergessen“ – könnte und sollte wohl von den vorbeigehenden Rezipienten ergänzt werden. Das (körperliche) Manipulieren eines regungslos dastehenden Menschen (Soldaten) wird angeregt, ohne allerdings – jedenfalls nach Eigenbeobachtung – mehr als oberflächliche Wirkung zu verursachen. Etwas tiefer greift das Arrangieren von Fotos nackter Männer anhand des Zusammenklebens ihrer zerschnittenen Einzelteile; die Absurdität der und somit von Manipulation wird anhand dieser Gestaltungsmöglichkeit nachdrücklich fühlbar. Emotional erreichen die aufgestellten Spinte mit Fotos und Daten sowie realen „Resten“ der ehemaligen Besitzer wahrscheinlich die meisten.
Vor allem sind es letztlich die Gegensätze in der Vermittlungstechnik, die thematisch überzeugen, nachdenklich machen, neue Denkansätze verursachen.
Giacomo Veronesi: "A Safe Space for Male Bodies", UA: 8.Oktober im BRUSEUM/ Neue Galerie Graz im Rahmen des steirischen herbst. Weitere Vorstellungen am 9. Oktober