Ihre Weltpremiere, schon hier zwinkert uns der gebürtig deutsche, in Wien lebende Philosoph, bildende Künstler und Performer Roland Rauschmeier kräftig zu, erlebte die Performance „Assessment“ im Studio des brut Wien. Der Frage, wo terroristische Gewalt ihre Wurzeln hat und wie sie gesellschaftlich wahrgenommen und reflektiert wird, geht er in seinem jüngsten Stück auf gewohnt ungewöhnliche, ironisch-humorvolle, bildgewaltige und vor allem lustvoll-spielerische Weise nach.
Prinzessin Leia, wir kennen sie aus der Star Wars-Reihe als Mitglied des kaiserlichen Senats und Agentin der Rebellenallianz, wie das Original im weißen Kleid und mit seitlichen Haarschnecken, führt am Anfang witzig-ironisch ein in das kommende Spektakel. Hinweise und Warnungen inklusive. Dass es Gewalt geben werde, dass sie alles befragen werden, auch den Probenprozess und das Publikum, dass die Arbeit iritiere, politisch unkorrekt sei und sexuelle Gewalt enthalte, dass Scherze mit und über Terrorismus gemacht würden, dass sie auf die transformative Kraft der Vorstellung setzen, gegen jede Form von Diskriminierung seien und niemandem weh tun wollen.
Schon damit werden Eckpunkte formuliert, unter anderem auch der Aspekt der zunehmend engagiert diskutierten Political Correctness. Die öffentliche Meinung allerdings, wenigstens die über ihr Stück, ist dem KünstlerInnen-Kollektiv, der Mann wird von zwei Frauen, der Wiener Choreografin und Performerin Brigitte Wilfing und der deutschen Schauspielerin Nicola Schössler performativ unterstützt, relativ egal. Weit weniger gleichgültig sind jedoch die das gesellschaftliche und private Leben durchsetzenden Fundamente terroristischer Gewalt.
Die Gesichter bemalt und vermummt in skurrile Kostüme, ausgestopft an den unmöglichsten Stellen mit ausbeulenden Dingen, die erst zum Ende hin als Kuscheltiere erkennbar wie zu einer Prozession vorn ausgelegt werden, zeigen sie den Körper als physische Repräsentation deformierter Psychen. Und begonnen hat das alles schon in frühester Kindheit. Deren Spiele, ob als passive TV-Berieselung oder aktiv am Computer selbst zu spielen, unterminieren mit ihren Inhalten, kompetitive Leistungs-Spiele-Shows mit wenigen Gewinnern und vielen Verlierern oder sogenannte Ego-Shooter, Baller-Spiele, in denen mit vorgehaltener Waffe virtuell getötet wird, schon früh kindliches Gerechtigkeits- und emphatisches Empfinden und zeigen Gewalt als legitimes Mittel in der Bewältigung innerer und äußerer Konflikte. Und schlimmer noch: Als selbstverständlichen Teil des Lebens.
Unsere neoliberale Ordnung, die Orientierung und Halt mangels allgemein anerkannter Wertesysteme kaum noch zu vermitteln mag, wird auf der Bühne zum Schauplatz eines chaotischen Mit- und Durcheinanders mannigfaltiger Aspekte. Er wäscht Geld in der Waschschüssel, wäscht damit ihren Fuß. Was Jesus seinen Jüngern tat. Die Vermittlung heiliger Werte. Und hinten auf der Leinwand rot-weiß-rot.
Das Publikum wird aufgefordert, bereit gelegte Tennisbälle auf die Bühne zu werfen. Weil die Gewalt tief in der Gesellschaft verwurzelt ist, von jedem einzelnen ausgehen kann. Wie Sandler rollen sie ihre Habseligkeiten, wüste Haufen von Versatzstücken des täglichen Lebens, auf die Bühne. Es scheppert und kracht, Skurrilitäten im Nebel. Sie essen Holzbesteck am Dreiertisch, singen polyphon, erwähnen die geteilten Meinungen zur Gewalt von Kindern gegen ihre sie kritisierenden Mütter, eine hat Sex auf dem Esstisch mit ihrem Teller, es gibt für alle Blaues aus dem Schlauch zu trinken, sie Rülpsen, der Titanic-Song wird auf der Flöte mit Orgel-Begleitung live gespielt und verliert sich in Geleier.
Auf großformatige Leinwände gebrachte Symbole schichten sie auf zu einer bespielbaren Pyramide. Die Venus von Willendorf, das Symbol eines Gewalt-Computerspiels, ein Flug-Insekt, die Gesichter von Katharina von Bora, der Ehefrau Martin Luthers, und des strahlenden Investors Peter Thiel, auf dessen Gehaltsliste übrigens auch Alt-Jung-Kanzler Kurz zu finden ist. Die Herkunft und die Metaphorik der Bilder sind für Nicht-Insider teilweise schwerlich zu ergründen. Macht nichts. Es geht um deren Vielfalt und ihr Spektrum. Alle aber repräsentieren Teile eines Systems von vielfältigsten Ursachen und insbesondere einer Wirkung.
Das Assessment der Probanden selbst erfolgt durch eine Stimme aus dem Off: „Ich habe nie die Selbstkontrolle verloren.“ „Ich bin fasziniert von Feuer.“ „Wahr!“ rufen sie, oder „Falsch!“, und hüpfen über die Felder. Das psychologische Profil schärft sich successive, um sich dann in einem wirren Wortebrei aus den Boxen in die Indifferenz zu verabschieden. In einer auf französisch gehaltenen Brandrede zeigt Roland Rauschmeier, wie ganz ähnlich auch in seiner im Oktober '22 im WUK uraufgeführten Arbeit „Hello World“, ein herausragendes komödiantisches Talent. Auf der Leinwand folgt eine dokumentarische Sequenz, die im Schlamm versinkende Polizisten zeigt. Aufräumen im deutschen Lützerath, der letzten dem Braunkohle-Tagebau geopferten Ortschaft. Einer der Demonstranten jedoch scheint über den Matsch zu gleiten, geradezu zu schweben, und damit die Staats-Gewalt zu narren.
Öfter einmal Kostüm-Wechsel (von Nicola Schössler). Die eine hat eine Spieluhr im Schritt und lässt, mehrfach wieder aufgezogen, das Streicher-beglittene „Sweet Lullaby“ klimbimmeln. Die andere legt ihr blutverschmiertes Shirt frei. Die Auswertung des Assessments ergibt übrigens keinerlei Dysfunktionen, keinen Narzissmus. Alles im grünen Bereich, urteilt die Gesellschaft über latente und offene Gewalt, ausgeübt vom Staat. Und von dessen Bewohnern.
Das Templer- oder Freimaurer-Kreuz dreht sich kurz links hinten. Die drei nun in Ganzkörper-Overalls. Der Preis wird ausgepackt. Ganz langsam. Was elektrisches, mit Kabeln, Schlauch und Lämpchen. Die Live-Kamera schaut in die Röhre. Wie viele Zahnreihen in einem tiefen, pulsierenden Schlund sieht der Sackomat aus. Eine Selbstbefriedigungs-Maschine für den Mann. Gewonnen also hat das Patriarchat. Das zur Not auch fast gänzlich ohne Frauen - zu Recht - kommt.
Kantig, gewollt sperrig, dynamisch, umfänglich recherchiert, aufgeladen mit Symbolen und Metaphern aus einem riesigen Spektrum historischer, gesellschaftlicher und psychischer Realitäten, äußerst komplex, beißend ironisch, witzig und amüsant ist „Assessment“. Und alles andere als leichte Kost. Die im Programmheft abgedruckten Texte von Persönlichkeiten diverser Professionen runden das Bild dieser breitbasigen Anklage einer von männlicher Destruktivität dominierten Gesellschaft zu einem theoretisch fundierten, ungemein kreativen humanistischen, weil feministischen Statement.
Roland Rauschmeier mit „Assessment“ am 16.02. 2023 im brut Wien.