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Ophelia4Nach Dante Alighieris „La Divina Commedia“ hat Florentina Holzinger nun ein weiteres kulturhistorisches Motiv als Herzstück einer Show gewählt. Aber so klar kommt das eigentlich gar nicht herüber während des überlangen Stückes namens „Ophelia’s got Talent“. Trotz aller Assoziationen zur ertrunkenen Ophelia aus Shakespeares „Hamlet“  stand eigentlich das Element Wasser als Medium und Spielfläche für die Tänzerinnen im Vordergrund. 

Blut, Eingeweideschau, Kopulation mit einer Maschine sind bereits vertraute Elemente aus Holzingers universalem Varieté. Diesmal geht es weniger um die Apotheose einer unbändigen Weiblichkeit, als den optimistischen Ausblick in eine hoffnungsvolle Zukunft trotz Klimawandels und Vermüllung der Meere mit Plastik. Und etwas Tanz ist auch dabei, nämlich eine Art Musical-Tabdance.

Eigentlich lässt sich der Abend nicht kohärent erzählen, und man muss ihn sich eher vorstellen als viele Ideen, die zu performativem Leben gelangen. Es beginnt mit einem Video, in dem Capt‘n Cook als Moderator des Abends (Annina Machaz) das Volkstheater aus der Luft zu entern scheint. Er ist schließlich auf der Bühne gelandet, wo gerade eine Talent-Show stattfindet und drei Jurorinnen Kandidatinnen auswählen, die ihre Kunststücke vorführen. Da gibt es Zitate von Poledance, Schwertschlucken, und eine Kandidatin klettert eingedenk des legendären Magiers Houdini als mit Ketten gefesselte Apnoetaucherin in einen transparenten Wassertank. Jedoch will die Entfesselung nicht in der vorgesehenen Zeit gelingen und Capt’n Hook wird nicht müde, die Gefahr dieses Acts zu betonen. Ophelia2

Als es kritisch zu werden droht, steigt die Chefin höchstpersönlich, also Holzinger, zur Kollegin ins Wasser und befreit diese, während das Publikum angespannt um deren Gesundheit bangt. Natürlich ist das inszeniert und könnte die erste Referenz an die im Wasser zugrunde gegangene Ophelia sein, deren Schicksal die Holzinger-Wasserfrauen klar verweigern. In der Folge werden alle möglichen, einschlägigen Topoi nach feministisch-selbtermächtigtem Rezept zum Theatereintopf mit Nixen, Undinen, Piratinnen, Matrosinnen, Wasserballerinen, Seefrauliedsängerinnen, Akrobatik, Blut und Selbstverstümmelung verkocht. Circensische Zurschaustellung und Voyeurismus des Publikums finden sich einmal mehr. Fast wirkt es, als ob nicht zuerst der Komplex „Ophelia“ Holzingers Interesse gefunden hätte, sondern der Wunsch, einmal etwas mit Wasser zu machen. Und so pritscheln, baden und tauchen alle in tausenden Litern Wasser, so wie es die Bühnentechnik halt hergibt. Und die gibt außerdem diesmal für das Kopulationsbedürnis starker Frauenkörper sogar einen Hubschrauber her.

Ophelia3Es ist ein Theater der Behauptungen und Verweigerungen, sogar gegenüber dramaturgischen Zuschreibungen wie „sentimental“ oder „tränendrüsendrückend“. Dann nämlich, wenn Kinder von der Loge auf die Bühne geholt werden, inszeniert natürlich, und sich unbefangen inmitten der brachialen Nacktheit bewegen, singen, die Zuschauer*innen berühren. Auch scheinheilig wird der Abend, das zu sagen muss erlaubt sein, wenn jede Menge Plastikflaschen aus dem Schnürboden in das riesige Schwimmbecken voll warmen Wassers regnen. Denn die implizite Kritik Holzingers wird hier zu Farce, wenn eine weltweit immer knapper werden Ressource wie Wasser dermaßen verschwenderisch für ästhetische Zwecke eingesetzt wird.

Holzinger ist als Artist in Residence der Volksbühne Berlin im Theatermainstream angekommen und hat nun einen entsprechenden institutionellen Apparat hinter sich, der ihr viele kostspielige Ausstattungswünsche erfüllen kann. Ihr spezifisch kreiertes Format, eine Show aus Variete- und Zirkuselementen mit feministischem Self-Empowerment, hat sie letztlich zur Vollendung gebracht. Trotz großen Hypes um sie und zahlreicher Fans wäre es wünschenswert, wenn sie ihr dramaturgisches Konzept allmählich überdenken könnte. Denn immer mehr entsteht der Eindruck eines „More of the same“, so wie dies ihrem Landsmann, dem ebenfalls in Deutschland sehr erfolgreichen, wunderbaren Hans Kresnik, widerfahren war. Auch ihn, den einstigen „Tanztheater-Berserker“, zeichnete durchaus hohe Originalität aus, bis seine Stücke aussahen wie nach immer demselben Schema angefertigt, egal zu welchem Thema.  Ophelia1

Holzinger ist ebenso wie Kresnik ein begabtes Vollblut-Theatertier und beide verbindet die Liebe zu drastischen und starken Bildern. Während er jedoch im Genre des Tanztheaters samt am Drama orientierten Gestus verblieb, hat Holzinger dieses längst zugunsten eines Nummernprinzips verlassen, auch wenn die Arbeiten immer ein verbindendes Motiv aufweisen. Allerdings zerfleddern ihre Montagen allmählich immer mehr und Holzingers Hang zur Überlänge, den sie mit vielen Künstler*innen teilt, die schwer zum Ende finden können, ist kontraproduktiv. Aber sie ist jung und radikal genug, um uns alle noch ordentlich zu überraschen. Das Potenzial hat sie bestimmt.

Florentina Holzinger: "Ophelia got Talent" am 17. April 2023 im Volkstheater in Zusammenarbeit mit Tanzquartier Wien.