Himmlische Musikalität mit dem Orchester der Wiener Staatsoper unter der Leitung von Bertrand Billy und einem erlesenen Sängerinnen-Ensemble erklingt in „Les Dialogues des Carmélites“ von Francis Poulenc. Die Inszenierung von Magdalena Fuchsberger ist interessant und zeichnet sich durch eine präzise Personenführung aus, das vielschichtige Bühnenbild von Monika Biegler lenkt jedoch immer wieder vom intensiven Austausch der Nonnen ab.
Poulenc adaptierte für das Libretto dieser ungewöhnlichen Oper das Drama von George Bernanos, der dieses wiederum nach Gertrud von le Forts historischer Novelle „Die Letzte am Schafott“ (1931) geschrieben hatte. Die Musik legt sich wie ein Handschuh um den komplexen Text, der ein Narrativ der Angst während der als Grande Terreur bekannten Zeit der französischen Revolution verhandelt. Vollständige Sätze, keine Textbausteine, erzählen die Geschichte der 16 Nonnen des Karmeliterklosters Compiègne bei Paris, die 1794 zu Tode verurteilt und hingerichtet wurden, weil sie ihrem Glauben nicht abschwören wollten. Die literarische Hauptfigur ist Blanche de la Force, eine Antiheldin, die, von Todesangst getrieben ihr Leben fristet. Erst als Novizin im Kloster des Karmel, dem sie unter dem Namen Blanche, Schwester der Todesangst Christi beitritt, beginnt sie ihre Existanzangst unter Kontrolle zu bringen. In den Gesprächen zwischen den Schwestern geht es um die Regeln des Glaubens, die Anpassung an sie, um die Entsagung von Annehmlichkeiten und den Gehorsam, um Todessehnsucht und Todesangst. Diese Dialoge entfalten sich im Spannungsfeld zwischen religiöser Mystik, ideologischem Fanatismus und philosophischer Argumentation.
Inzwischen bereiten in der Welt außerhalb der Klostermauern die Aufstände der Sansculottes die Schreckensherrschaft der Jakobiner vor, deren Soldaten bald auch vom Karmeliterkloster Besitz ergreifen. Der Chevalier de la Force versucht seine Schwester Blanche zu überzeugen, das Kloster zu verlassen, doch Blanche bleibt in ihrem neuen Zuhause.
Immer wieder klingt subtil der Nachfolgestreit zwischen Mère Marie und Madame Lidoine um die Leitung des Klosters nach dem Tod der Priorin an, den Lidoine für sich entscheidet. Diese Konkurrenz wird offensichtlich, als Mère Marie die Abwesenheit der neuen Priorin nützt, um die Schwestern dahin gehend zu manipulieren, einen Eid auf den Märtyrertod zu schwören. Als die Soldaten schließlich die Nonnen aus dem Kloster vertreiben, flieht Blanche auf das Anwesen ihrer Familie. Erst als die Schwestern nach und nach durch die Guillotine sterben, kehrt sie zurück. Sie wird im Tumult der Hinrichtung getötet, als ihre Novizin-Gefährtin Constance das Schafott besteigt. Zuvor hatte dieses fröhlich-naive Mädchen ihren baldigen, gemeinsamen Tod vorhergesagt. Mère Marie, die Blanche gefunden und sie zur Rückkehr zu bewegen gesucht hatte, schafft es nicht mehr rechtzeitig in die Stadt zu kommen und überlebt als einzige. Ironie des Schicksals, oder Vorsehung Gottes?
Die Wiener Erstaufführung von „Dialog der Karmeliterinnen“ fand 1959 in der Regie von Margarethe Wallmann statt, zwei Jahre nachdem sie die Uraufführung in Mailand inszeniert hatte. Die letzte Aufführung in deutscher Sprache ging 1964 über die Bühne der Wiener Staatsoper und ist nun in der vom Komponisten intendierten Gesamtfassung zurück: in französischer Originalsprache und mit den musikalischen Übergängen zwischen den einzelnen Szenen, die mitunter gestrichen werden. Sie sind allerdings ein musikalischer Gewinn, den man nicht missen möchte. Noch seltener kommt die kurze Sprechszene auf die Bühne, in der drei Landleute die Hinrichtung kommentieren. (2008 brachte das Theater an der Wien die Oper in der Regie von Robert Carsen heraus.)
Der religiöse Kontext des 1956 entstandenen Werkes bietet Themen, die aus heutiger Sicht über die psychologische Angstbesessenheit hinausgehen und eine gesellschaftskritische Lesart bieten können, etwa, wenn Madame de Croissy erklärt, dass das asketische Klosterleben nicht dazu diene, dem irdischen Treiben zu entsagen, sondern Illusionen zu nehmen. Oder wenn die Frauen ihrer Autonomie beraubt werden und sich der männlichen Gottfigur zu fügen hätten, denn: „Gott wacht über eure Ehre. In seinen Händen ist sie besser aufgehoben.“
Die Inszenierung von Magdalena Fuchsberger lenkt geschickt und dezent das Augenmerk auf solche Stellen, die zur Diskussion herausfordern (sollten). Doch das gelingt nur vereinzelt. Unruhe entsteht durch das Bühnenbild von Monika Biegler, einer Holzstruktur mit unterschiedlichen Räumen. In ihnen spielt sich, inmitten von schwarze Gestalten, die darin herumstehen oder sich bewegen, die Aktivitäten des Klosters oder von Blanches Familie ab. Die Videoinstallation von Aron Kitzig geht darin weitgehend unter. Die Funktion der Tänzerin in einem weißen Merkur-Kostüm und mit braven Ballett-Posen (Choreografie: Christian Herden) wird nicht klar: einmal ist sie Begleiterin, dann Widersacherin von Blanche. Schließlich verschwindet sie einfach von der Bildfläche. Die Kostüme von Valentin Köhler betonen die Individualität der Nonnen durch Habits mit einer persönlichen Note. Wenn sie im Schlussbild als Märtyrerinnen in der Uniform der Karmeliterinnen mit Gesichtsschleiern, Heiligenschein und über und über mit Goldkreuzen behangen zur Exekution antreten, ergeht sich die Regie vollends in mythischer Ekstase wie in einem kitschigen Heiligenbild.
Doch über all dem steht eine musikalische Glanzleistung. Der Gesang des Ensembles, sei es in den Dialogen und im berühmten Schlussgebet „Salve Maria“ erreicht eine nahezu überirdische Dimension. Das Spiel der Hauptdarstellerinnen, Nicole Car (Blanche), Maria Nazarova (Constance), Eve-Maid Hubeaux (Marie), Madame Lidoine (Maria Motolygina) und ganz besonders von Michaela Schuster als Madame de Croissy ist durchwegs eindringlich und berührend. In die Harmonie, die im Zusammenklang ihrer Timbres entsteht, fügt sich das Orchester kongenial ein. Bertrand de Billy achtet genau auf die Lautstärke, um die Stimmen zu unterstützen und nicht zu übertönen. Ein rundum betörendes Klangerlebnis!
Wiener Staatsoper: „Les Dialogues des Carmélites“ von Francis Poulenc. Premiere am 21. Mai in der Wiener Staatsoper; gesehene Vorstellung am 27. Mai. Letzte Vorstellungen in dieser Saison: 30. Mai, 2. Juni