Nachwirkung – eine solche ist dem Festival InTakt, das heuer zum 8. Mal stattfand, nicht nur bis zum „Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung“, also kurz nach dessen Ende, zu bescheinigen, sondern wohl weit und lang darüber hinaus: Für jeden/jede, der/die auch nur eine der 34 Veranstaltungen besucht hat, zu denen Theaterstücke, Filme, Vorträge und Gespräche, Workshops und Ausstellungsführungen zählen.
Dieses heuer dreiwöchige ‚Inklusive Tanz-, Kultur-, und Theaterfestival‘ war in der Vielfalt seiner Angebote so umfangreich wie noch nie. Und als weitere Bereicherung konnte Lina Hölscher, die Künstlerische Leiterin des Festivals, von einem ganz besonderen Erfolg berichten: vom Start einer ersten professionellen Ausbildung für Tanz und Theater für Menschen mit Beeinträchtigungen in Graz im Jänner 2024, von der Theaterakademie von LebensGroß.
Eröffnet wurde der Veranstaltungsreigen des Festivals von Mitwirkenden der ersten Premiere mit der provokanten Frage: „Wem gehört die Oper“, um diese alsogleich für ihre Aufführung von „The Beggar’s Opera“ im Foyer des Hauses in Besitz zu nehmen‘; für diese Kooperation der Theaterakademie von LebensGroß, Planetenparty Prinzip, InTaKT Festival und Oper Graz. Und so wie im Original humorvoll kritisch gesellschaftliche Machtstrukturen beleuchtet und individuelle Freiheiten erkämpft werden, präsentiert das integrative Team eine Version, die ihrer persönlichen Welt entspricht; wohlverwoben mit dem ursprünglichen Plot und unter der feinen Regie von Georg Schütky.
Und gerade auch weil aus Gründen labiler Gesundheit eines Protagonisten die Aufführung mehrmals kurz unterbrochen werden musste, wurde vor Augen geführt, welch unbeugsame Kraft und Lebensfreude in Menschen mit Einschränkungen stecken kann und muss, um eine Lebensqualität, die Kunstausübung einschließt, nach ihren Wünschen erreichen und umsetzen zu können – mit Erfolg. Die derart gegebene Vorbildwirkung greift tief und nachhaltig.
Vergleichbares gilt auch für den kurzen, berührenden Tanz der beiden TänzerInnen mit Down-Syndrom der Wiener „Ich bin O.K. Dance Company“, den sie vor der Filmpräsentation zeigen, in der sie mitspielen: „Lass mich fliegen“, Regie und Buch Evelyne Faye. Dieser außergewöhnliche Film über zwei junge Paare mit Down-Syndrom erzählt mit sensibler Unverblümtheit von ihrem Alltag, ihren Wünschen und ihren Problemen, die so manches Mal in der sie umgebenden engstirnig denkenden und handelnden Umwelt fußen. Neben dem hohen Informationswert allgemein nimmt man vor allem eines mit: Menschen wollen weniger bedauert als in und mit ihren Fähigkeiten gesehen und anerkannt werden.
„Das farbenblinde Chamäleon“ für Menschen ab 6Jahren, vorgeführt vom Verein accomplices, basiert auf der kreativen Idee, die Sinne des Hörens und Sehens sowie die Fähigkeit des Sprechens am Beispiel einer Fledermaus, eines Chamäleons und eines Äffchens, die alle drei über eben diese für sie jeweils so wichtigen Sinn nicht verfügen, in ihrer Bedeutsamkeit bewusst zu machen. Und vor allem darauf, wie diese grundlegenden Fähigkeiten sehr wohl durch andere kompensiert werden können. Die angedeutete Vielschichtigkeit des Themas gelingt, bei allen liebevoll eingesetzten Mitteln, in der darstellerischen Umsetzung nicht immer ganz überzeugend. So zieht zwar etwa der Tanz (Lisa McGuire), die sichtbar gemachte Energie der Beweglichkeit, die Blicke auf sich, lässt die grundsätzlich gegebenen Ausdrucksmöglichkeiten ahnen; einige Male ist aber der inhaltliche Faden etwas dünn.
Außergewöhnliches gelang in der Kooperation von büro lunaire und Theater Quadrat in ihrem "Live-Hör-Spiel im Dunkeln", in den „Aufzeichnungen einer Blinden“. Mit Augenmaske versehen werden die Zuseher zu ihren Plätzen geführt und verbleiben derart bis zum Ende des Stückes ohne visuelle Inputs. Der Fokus liegt auf dem, was sich akustisch präsentiert: auf einem Text (Gina Mattiello), der aus Gesprächen mit nicht sehenden Menschen entstanden ist und auf der Komposition (live. Reinhold Schinwald, Germán Toro-Pérez). Erzählt wird die Geschichte einer jung Erblindeten und einer sehenden Frau; zweier Frauen (gesprochen von Gina Mattiello und Ninja Reichert), die einander näherkommen und voneinander lernen. Das Bewusstsein, die Erwartungshaltung, in einem Theater normalerweise etwas zu sehen, macht die Situation eines nicht sehenden Menschen dank des gegebenen Setting tatsächlich etwas (be)greifbarer. Die Reduktion auf den Hörsinn allein ist derart eine Herausforderung, lässt ahnungsweise spüren, was es bedeuten könnte, nicht zu sehen. Einen wesentlichen Teil, sich in das Erleben eines Blinden einzufühlen, trägt die zeitgenössische Musik, tragen diese zumeist glasklaren Ton- und Geräuschgemälde bei. Dieser Teil des Akustischen geht nicht so sehr über den Intellekt und somit tief hinein als Versuch, sich einer „authentischen“ Erfahrung der Blindheit anzunähern. Ein Augenöffnen in der Dunkelheit! Und eines, ein wesentliches und vielfältiges insgesamt bei diesem Festival.
InTaKT, 10. bis 28.November 2023, Graz