Sechs Tage Tanz im OFF-Theater Wien. Die Eröffnung dieses Neuen Festivals für zeitgenössischen Tanz gestalteten DANS.KIAS mit dem Preview ihres Stückes „fragments of desire“, das im Jänner 2024 in seiner Vollversion an selber Stelle zu sehen sein wird, und OFFTANZ Tirol mit ihrer bereits 2021 entstandenen Arbeit „aus ein an der“, den Abschluss Tanz Company Gervasi mit „STÄBCHEN“ und Cie.tauschfühlung mit „buffer overflow“.
Kuratiert von Bianca Anne Braunesberger und Ernst Kurt Weigel und in dessen OFF-Theater umgesetzt, konnte dieses Festival nach innerpandemischen ersten Schritten nun erstmals in vollem Umfang über die zwei Bühnen des Hauses gehen. First Showings, Wiederaufnahmen und Premieren, sechs Abende mit insgesamt 11 Vorstellungen von acht Arbeiten zeigten einen Ausschnitt aus der ungeheuren Bandbreite von Positionen im zeitgenössischen Tanz.
„Something is rotten in this age of hope“ nennt Saskia Hölbling das durchaus eigenständige Showing der am 16. Jänner 2024 programmierten Uraufführung ihrer Arbeit „Fragments of Desire“. Gemeinsam mit Leonie Wahl und Ardan Hussain entwickelt, zeigt das 25-minütige Stück Menschen in unserer von Kriegen und Krisen gebeutelten, unser Werte-Fundament untergrabenden Zeit in ihrem Ringen um Orientierung, auf ihrer Suche nach Halt und Sicherheit. Hochpolitisch und menschlich sensibel gehen die drei TänzerInnen – Saskia Hölbling tanzt ein starkes Solo – in sich und in uns. Spürbar bleibt bei allem von Text, Video (Evi Jägle) und Sound/Musik (Heinz Ditsch) mit erzähltem (W)Irrsinn die unerschütterliche Würde erschütterter Menschen. Ein gelungener Teaser.
Es ist eine Frage der Existenz, des Weiter-Bestehens als Mensch, der sich auf ihre Weise auch die Choreografin Emmanuelle Vinh mit ihren vier TänzerInnen Michael Gabriel Gross, Kamil Mateusz Mrozowski, Betty Pester und Clarissa Omiecienski in ihrer einstündigen Arbeit „aus ein an der“ widmet. OFFTANZ Tirol wird von Live-Musik begleitet, erklärt die Choreografin in ihrer kurzen Einführung vor der Performance. Der Jazz-Pianist und Pädagoge für Psychoanalyse und Jazzklavier Andreas Tentschert sitzt derweil schon an seinem Pult. Neben den Tasten blinkt Elektronik. Er gestaltet den Sound äußerst variabel. Klavier und Elektronik, Rauschen und Zwitschern, perkussive Rhythmen, E-Gitarren und vibrierendes E-Piano, zurückhaltend in die Performance eingebaut. Man spürt das gemeinsame, gleichzeitige Erarbeiten des Stückes.
Die Schatten zweier nackter menschlicher Körper nähern und entfernen sich voneinander. Flüchtig sind ihre Berührungen. Damit ist das Thema eingeführt, das sie tänzerisch-performativ untersuchen. Zwar von der pandemie-induzierten Isolation inspiriert, der Mensch zurück geworfen auf sich und nur mittelbar zu Kommunikation und Kontakt fähig, heben sie ihr Thema aus diesem Kontext heraus in eine allgemein-menschliche Dimension.
Als würden sie physische Berührung erst (wieder) lernen müssen, lehren sie sie einander, ungemein zärtlich, voller Sehnsucht und Empathie. Sie schauen in ihre leeren Hände. Was haben wir also? Was bleibt uns denn noch? Jazziges Klavier, mechanisch ihr Tanz, in dem sie sich spiegeln, sich annähern, berühren und zurückweisen. Sie kopieren Gesten, fühlen sich atomisiert, beschleunigen, die Dynamik nimmt zu, sie verlieren die Kontrolle, stürzen ins emotionale Chaos.
In poetischen Bildern tanzen sie die Pandemie in uns, erzählen von dem ewigen Drama, das von einem Virus in die Sichtbarkeit gedrückt wurde. Auch wenn man einfache Antworten auf Schuldfragen zu kennen glaubt: Es war und bleibt in uns, das Virus der Vereinzelung. Diese Wohlstands-Seuche auf pandemischem Niveau hält leider auch kein wundervoll getanztes, mit Humor und kräftigen Bildern choreografiertes Tanzstück, wie „aus ein an der“ eines ist, auf.
„Stäbchen“ ist ein von Altmeister Elio Gervasi für die Tänzerin Paula Dominici und den Musiker Alessandro Vicard choreografiertes Duett. In einem fast sterilen Setup agieren die beiden, als gäbe es den Anderen nicht. Sie bauen sich ihre eigene kleine Welt auf beiden Seiten der Bühne. Alessandro hat seinen Kontrabass, ein Notebook und zwei Stäbchen, die er neben das Instrument legt. Paula drapiert sich, fast zärtlich, vier Stäbchen, eine Sonnenbrille, Streichhölzer und eine Kerze am Boden.
Sie beginnen vorsichtig, mit ihren Materialien zu arbeiten. Vicard streicht die Saiten seines Basses, den er dabei über die Bühne trägt. Leise Töne mit vielen Obertönen. Die Tänzerin beginnt mit Bewegungen ihrer Arme, nimmt dann den Kopf hinzu. Elio Gervasi an den Licht- und Tonreglern zieht das Licht ein wenig hoch. Es ist sehr atmosphärisch, bei aller Kühle. Sie gehen aneinander vorbei, ohne den anderen wahrzunehmen. Zwei Atome im All.
Sehr abstrahiert das Bewegungsmaterial, experimentell die Musik, entsteht daraus eine zarte Begegnung zweier einsamer Menschen und Künstler. Die starke Bühnen-Präsenz der beiden stützt das Sujet. Ihre uneingeschränkte Hingabe an ihre Kunstformen Musik und Tanz und die Meisterschaft der beiden in ihren Metiers strahlen von der Bühne und machen das Stück so lebendig. Die Erforschung ihrer Instrumente, eines Kontrabasses und eines Körpers, mündet in beginnende Kommunikation ohne tatsächliche Begegnung. Sie sehen den/die Andere(n) nicht, nur ihre Spiegelbilder. Einsamkeit als Ausgangs- und End-Zustand, Unfähigkeit, eine tatsächliche Bindung einzugehen, Koexistenz ohne Nähe. Aber die Sehnsucht nach ihr ist da. Ein weiterer feinnerviger Blick Elio Gervasis auf unsere Gesellschaft.
In „Buffer Overflow“ der Cie.tauschfühlung tanzt Bianca Anne Braunesberger zur Musik von Ko-Performer Stefan Zotter. Beim Betreten des Saales zwitschern Vögel, krähen Raben. In einem hängenden Vogelkäfig flackert ein Licht. Nebel zieht über die weiße, leere Bühne. Das Geheul von Tieren, Naturgeräusche. Der Sound stürzt in die Tiefe.
Ein Leuchtstab schiebt sich hinten auf die Bühne, geführt von einem vollständig weiß verhüllten Humanoiden. Nur dort, wo ein Gesicht sein sollte, scheint eine blaue Fläche aus der Kapuze. Wesen- und gesichtslos bewegt sie sich, Maschinen gleich, tanzt, heftige Bewegungen lösen ruhige ab. Getrieben scheint sie, unsicher, beinahe verzweifelt. Gewiss aber ist sie fern von sich.
Stefan Zotter installiert seine Technik, analoge Synthesizer, Effektgeräte und Mischer auf ihrem liegenden Körper. Das Verkabeln dauert, aber es funktioniert auf Anhieb. Perkussiv sein Sound, mit Tönen durchsetzt. Sie lotet wie ein gefesseltes Wesen ihre Freiheiten aus. Er spielt mit den Klängen. Sie kriecht hervor, tanzt mechanisch mit dem Lichtstab.
Wie weit darf Technologisierung gehen? Welche Macht räumen wir ihr ein aufgrund welcher ethischen Prämissen? Wer ist Master und wer Slave? Und wie kann sich jeder Einzelne schützen vor dem Verlust seiner selbst? Solcherlei Fragen stellen Bianca Anne Braunesberger und Stefan Zotter mit ihrer 45-minütigen Performance „Buffer Overflow“, ohne sie zu beantworten. Was sie aber, mit eindrucksvollem Tanz in Kooperation mit variantenreichem Sound präsentiert, behaupten, ist das Recht auf Hoffnung, unter all den außen aufgetragenen Schichten Menschen zu begegnen.
Das Festival TANZ.IM.OFF ist (noch) klein, aber sehr fein, dem angesichts seines Erfolges weitere Auflagen folgen werden.
„TANZ.IM.OFF“ vom 14. bis 20. Dezember 2023 im OFF-Theater Wien.