Nach Standing Ovations beim anhaltenden Schlussapplaus eilt so mancher nicht nur eilig zur Garderobe, sondern bewegt sich auch etwas beschwingter, leichtfüßiger als vor dem knapp dreistündigen Erleben von „Crazy For You“, diesem bis heute weltweit erfolgreichen Musical von George Gershwin.
Geschickt angelegt zwischen Wildem Westen und New York, zwischen Tanzleidenschaft, Liebessehnsucht, Tatendrang und Mut ranken sich immer eng, so manches Mal auch wirr verwoben die Handlungsstränge dieses pompösen, temporeichen Stücks. Eines, das gute Unterhaltung in bester Form bietet und darüber hinaus, wenn es so mitreißend dargeboten wird wie in der Grazer Inszenierung von Cusch Jung, seinen mehrfach gesponnenen roten Faden „I Got Rhythm“ ins Publikum legt und von diesem weitgehend ausnahmslos aufgenommen wird, um nicht zu sagen diesem unter die Haut und ins Blut geht.
Neben Spaß, Humor und Sprachwitz steckt in den zahlreichen erzählerischen Seitensträngen aber auch so manch Feinsinniges; so manch kleine Lebensweisheit und Erkenntnis, klug eingepackt und ‚ganz nebenbei‘ oder auch launig serviert.
Dass all dies - und das ist nicht wenig - gut ankommt, dass Plakatives wie Klischeehaftes vermieden wird, beruht zweifellos auf der kreativen, gemeinschaftlichen Erarbeitung dieser Stückinterpretation (Aussagen dazu nachzulesen im Interview des Teams im sehr informativen Programmheft). Beruht also in der engen Zusammenarbeit von Jung, Natalie Holtom (Choreografie) und Karin Fritz (Bühne, Kostüme) sowie Johannes Braun (Musikalische Leitung) und allen auf der Bühne und im Hintergrund agierenden Künstlern. Die Stimmigkeit des Zusammenspiels ist beispielhaft am Salonbesitzer Lank (Daniel Doujenis) zu sehen und zu spüren: Die engagierte Spielfreude des Profidarstellers könnte ansonsten nicht in all seiner differenzierten Ausdruckskraft derart amüsant zum Tragen kommen. Und selbst die Brillanz der beiden Hauptdarsteller, Dennis Hupka als Bobby, Katia Bischoff als Polly, glitzert in diesem Ensemble aller Beteiligten noch ein Stück mehr. Hupka mimt den Broadway Showman wie sich Jung und Alt einen solchen vorstellen und sich ihn als Stepptänzer erträumen; seine Soli sind schlicht grandios. Dem vielseitigen Charme und darstellerischem wie gesanglichem Können von Bischoff kann sich nicht nur er nicht entziehen; und dem temperamentvollen wie berührenden Szenen ihrer Beziehung kaum ein Zuseher. Nicht zuletzt ist aber auch Jung selbst in seiner „Doppelrolle“, nämlich auch als köstlich agierender Mime, als Bela Zangler, zu erwähnen: sein „Pas de Deux“ mit Hupka zählt zu einem der darstellerischen Gustostückerln. Und auch dieses ist nicht „nur“ amüsant, sondern stellt im gegenseitigen Spiegeln der beiden Männer durchaus selbstkritische Fragen, gipfelnd im „Wer bin ich?“
Durchgehend tänzerisch wie darstellerisch überzeugend das Ballett Graz. Die zahl- und temporeichen Shownummern gelingen in mitreißender Exaktheit und begeistern zusätzlich durch die zur Schau gestellte Freude am Tun, das fast ausnahmslos entspannt über die Bühne kommt. Hut ab schließlich vor ihrer „Sonderqualifikation“ auf dem Gebiet des Stepptanzes.
Als punktgenau könnte man die Bühnengestaltung bezeichnen: Das geradezu Maßlose der westlichen Welt stellt sich mit relativ einfachen Strichen in seiner Bedrohlichkeit wie Faszination in den Silhouetten New Yorks aus der Froschperspektive dar. Insbesondere farblich sehr feinfühlig die Welt des Wilden Westens: Sowohl die Architektur wie auch die Kostüme vermitteln wohltuend zurückhaltend das notwendig Atmosphärische. Allein in der Abschlussszene, in der eine Brücke zur Gegenwart gebaut werden soll, gerät sowohl das Optische wie auch das Darstellerische unnotwendigerweise etwas aus den Fugen.
Das Musical, das heißt seine ursprüngliche Fassung, entstand Ende der goldenen Zwanzigerjahre, also nach geradezu euphorischen Jahren des Aufschwungs, zurzeit wirtschaftlicher Depression. Dass diese letztendlich auch die Menschen weltweit betraf, war ein Faktor; dass so manche, wenn es möglich war, von diesem Ablenkung suchten und etwa in der Theaterwelt fanden, ein weiterer.
Übereinstimmung mit realen Situationen in der Gegenwart sind rein zufällig. Und wenn, sicherlich nicht (nur) der Grund, warum diese Aufführung begeistert UND wohltut in ihrer letztlich wenig beschönigenden Aussage, dass Aktion immer noch besser als Nichtstun ist – auch wenn kaum einer ohne Hilfe von anderen reüssiert.
Oper Graz: „Crazy For You“. Premiere am 16. Dezember 2023; gesehene Aufführung am 26. Dezember. Weitere Vorstellungen: 31. Dezember 2023, 7., 12. Jänner 2024, 2., 9., 15., 23. März, 10., 12., 14., 28. April, 12., 15. April