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Ailey1Lediglich drei Stationen hatte die Nachwuchscompany des legendären Alvin Ailey American Dance Theater (AAADT) auf ihrer Europa-Tournee zu absolvieren: zwei in den Niederlanden und eine in St. Pölten. Abgesehen von der exzellenten tänzerischen Qualität der Juniorcompagnie, zeigt die Leiterin des Festspielhaus St. Pölten, Bettina Masuch, mit dieser Einladung auch ihr grundlegendes Verständnis für Tanz-Zeitgeschichte. Denn Alvin Aileys Erfolg ist ein Meilenstein im Civil Right Movement.

1958 gründete Alvin Ailey das AAADT als erste schwarze Compagnie in den USA und führte auf kultureller Ebene eine Entwicklung fort, die drei Jahre zuvor mit Rosa Parks Weigerung, ihren Platz im Bus für einen Weißen zu räumen, begonnen hatte – eine Aktion, die zum Symbol für das Ende der Segregation wurde. Bis dahin war die schwarze Bevölkerung, die als Sklaven ins Land gekommen waren, Bürger zweiter Klasse – besonders in den Südstaaten wurde die Rassentrennung strikt aufrecht erhalten. Aus einem solchen, nämlich aus Texas stammte auch Alvin Ailey und diese frühen Erfahrungen prägten die Werke des 1989 verstorbenen Choreografen. 

Besonders eindrucksvoll gelang ihm ein Portrait der afro-amerikanischen Gesellschaft in „Revelations“ zu Gospelsongs. Das Stück erzählt vom Leid und Schmerz der Unterdrückung ebenso ausdrucksstark wie es die Resilienz der People of Color feiert. Seit seiner Entstehung 1960 ist es das „Signature Piece“ der Compagnie und beschließt jede Aufführung.

Auch über 60 Jahre nach seiner Entstehung ist die Spiritualität dieses Werkes ungebrochen. Sorgfältig wird es von einer Tänzergeneration an die nächste weitergegeben und in deren Körper eingeschrieben. Bei Ailey II, das 1974 gegründet wurde und den Untertitel „The Next Generation of Dance“ trägt, ist diese Tradition ebenfalls sehr lebendig. Für das Publikum ist die Choreografie vertraut, ja sie mag sogar Grund für den Theaterbesuch sein und ist wohl ein Highlight der St. Pöltner Saison. 

In den Ailey-Choreografien entfaltet sich die kraftvolle und zeitlose Eleganz der Horton-Technik mit ihren raumgreifenden Moves, tiefen Pliés und biegsamen Oberkörpern. 

Bei „The Lark Ascending“ (1972) bekam man einen Teaser davon, wie sich der Modern Dance Stil mit Einflüssen aus dem klassischen Ballett mischt. Romantisch lieblich sind die gezeigten Ausschnitte, ein Solo und ein Pas de deux, wunderbar getanzt von Kali Marie Oliver und Andrew Bryant, und Zeugnis für eine sinnliche Verkörperung der Musik (in diesem Fall von Ralph Vaughan Williams), bei der die Körper plastisch in Szene gesetzt werden.

Kurz vor seinem Tod ernannte Alvin Ailey seine Haupttänzerin Judith Jamison zu seiner Nachfolgerin. (Reiferen Wiener Ballettfans ist sie bis heute als Potiphars Weib in Neumeiers „Joseph Legende“ an der Wiener Staatsoper in lebhafter Erinnerung.) Unter ihrer Leitung wurde das AAADT zur erfolgreichsten Tanzcompagnie mit dem größten Tanzzentrum in der Tanzmetropole New York. Mitten in Manhattan gelegen, befinden sich darin ein Theater, eine Bibliothek, ein Shop sowie die AAADT-Schule und bietet neben der professionellen Ausbildung zahlreiche Community-Aktivitäten. Jährlich nehmen an die 200.000 Menschen an einem der Programme teil.

Auf Jamison folgte 2011 Robert Battle als Direktor der AAADT nach, der der Compagnie ein moderneres Profil gab, ohne die Tradition in Frage zu stellen. Ailey II hatte seine dynamische Choreografie „The Hunt“ zu den Trommelschlägen von Les Tambours du Bronx im Gepäck. Ursprünglich für vier männliche Tänzer kreiert, wird es nun von vier Frauen getanzt, die nichts an Attacke vermissen lassen. Ailey2

Eröffnet wurde der Abend mit einer Choreografie von Francesca Harper, der aktuellen Leiterin von Ailey II. „Freedom Series“ ist eine elegisch verträumte Suche nach Erinnerungen, die im sanften Licht von Kugellampen auftauchen und wieder verschwinden, ohne dass man sie zu fassen bekommt.

Ailey4Insgesamt war das Gastspiel von Ailey II im Festspielhaus St. Pölten eine nostalgische Zeitreise, die auch die Schwierigkeit offen legte, die jedes Ensemble trifft, das von kreativen Lichtgestalten gegründet und geleitet wurde. Wie gestaltet man die Zukunft und pflegt gleichzeitig das wertvolle Erbe? Mit dieser Frage beschäftigt sich die Martha Graham Dance Company ebenso wie das Wuppertaler Tanztheater. In den über 30 Jahren seit Ailey Tod hat sich seine Legacy im Vergleich überaus erfolgreich behauptet. Die Tänzer*innen sind ausgezeichnet und das Repertoire ist bestens geprobt, kurz man erlebt Tanz auf höchstem Niveau. Das ist wunderbar – für einen Abend. 

Doch die Frage stellt sich, wie lange die Compagnie noch von ihrer Vergangenheit wird zehren können, ohne sich für den künstlerischen Spirit des 21. Jahrhunderts zu öffnen. Denn der Schritt in die Gegenwart ist (noch) nicht vollzogen. Erst kürzlich, im November letzten Jahres, trat der beliebte Direktor des AAADT Robert Battle überraschend von seinem Posten zurück. Die Zukunft ist also offen für Neues.

Ailey II am 20. Jänner im Festspielhaus St. Pölten

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