Das Schützende wohnt wie das Trennende und Ausweisende jeder Mauer inne. Sol LeWitt’s Wall im Grazer Kunsthaus macht in seinem ästhetisch ansprechenden Fluss diese Ambivalenz auf sehr sensible wie markante Weise noch bewusster. Bruna Diniz Alfonsos performative ‘Zusammenarbeit’ mit dieser Wand zieht spartenübergreifend eine weitere, eine inhaltlich ergänzende Ebene ein.
Und sie baut ihr “künstlerisches Forschungs- und interdisziplinäres Tanzprojekt” gleichzeitig auf einer verbalen und damit einer inhaltlich sehr konkreten Basis auf: Auf Interviews, die um die Thematik Ausgegrenzter kreisen; auf solche von Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen als ‘anders’ und damit zumeist als Abzulehnende empfunden und behandelt werden.
Wie es eben diesen mit derartigen Lebensumständen ergeht, machen die beiden Solisten, Bruna Diniz Alfonso und Nimrod Poles, visuell vorstell- und tief nachfühlbar: Ihre Körperbewegungen zeichnen abstrakte und doch sehr griffige Bilder dieser Erfahrungen in den Raum.
Relativ konkret in der ersten Szene, wenn sie jeweils allein auf sich gestellt an den zwei Anfangsbereichen der Wand ihren Weg suchen; verdammt unerbittlich an dieser entlang, um vielleicht einmal einen Eingang, einen Durchgang zu finden: zum Anderen. Als ‚Anders-Artige‘ kaum wahrgenommen, selten selbstverständlich aufgenommen oder gar willkommen geheißen müssen sie sich anpirschen, Schritt um Schritt, um einen, um ihren Platz zu erobern. Aber selbst dann, wenn ihnen etwas Raum zugestanden wird – dort, wo die Wand einen Platz umrundet – sind ungewöhnliche, mutige, ja halsbrecherische Bewegungen, Posen, Verrenkungen nötig, um sich einordnen, integrieren zu können und/oder zu dürfen.
Wenig verwunderlich, dass die eine und andere Aggression aufplatzt (wie der Titel BURST), versuchter Annäherung Abwehr entgegenschlägt. Angespanntes Verharren und kurzzeitig erschöpftes Stoppen zählen im Gegensatz dazu zu alltagsimmanent eingestreuten und damit authentischen Momenten.
Das, was geschieht, geschieht vor allem in nahezu zermürbender Langsamkeit, geschieht zum allergrößten Teil in Minimalschritten und erfordert Wiederholung um Wiederholung, Um letztlich auch immer wieder wie so mancher Traum, manches Ziel, zu zerplatzen – BURST. Ganz banal zu zerplatzen wie ein aufgeblasener Kaugummi, dessen konkreter Einsatz dafür stehen mag. Oder aber er steht für Sprechblasen, für die unzähligen Versprechungen, die zumeist zerplatzen.
Doch hie und da gerät auch etwas in Fluss - thematisch wie formal: in den Bewegungsfluss zweier Tänzer, die ihr Handwerk wahrlich gelernt haben, die bei aller berührenden Ernsthaftigkeit der präsentierten Thematik, faszinieren und mitreißen: durch ihr sensibles Zusammenstpiel, ihr freudvolles Engagement für ihr Tun.
Im gleichermaßen stimmigen wie ungewohnten und doch so zeitimmanenten Fluss ist auch die Klangkomposition von Atousa Falamarzian.
Der versöhnliche Schluss in entspannt umschlungener Gemeinsamkeit der beiden (An-) Kämpfer tut wohl, ist, bei aller fraglichen Realitätsnähe, fern von Schönfärberei.
Bruna Diniz Alfonso: Burst@Sol leWitt’s Wall. Performed am 15. März im Kunsthaus Graz