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Sommerhundstraum0Er hat erstmals den Spieß umgedreht. Nicht Hollywood-Blockbuster und österreichischen Theater-Klassiker, sondern einen inländischen, auf der Biennale Venedig 2001 mit dem Großen Preis der Jury prämierten Film und das meistgespielte Shakespeare-Stück verschränkt Ernst Kurt Weigel in seinem neuesten Mash-Up zu einem komödiantisch daherkommenden Schau.Tanz.Spiel mit tiefen Einblicken in die Seelen der Protagonisten. Und damit in eine Gesellschaft über dem Abgrund.

Die Vorlagen: William Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ und Ulrich Seidl's „Hundstage“. Das Schauspiel aus 1596 spielt im antiken Athen, wo die Vorbereitungen für die Hochzeit eines Herrscherpaares laufen, und in einem angrenzenden Zauberwald, in dem ein Theaterstück für diesen Anlass geprobt wird. Der Film zeigt sechs unabhängige, abgründige Geschichten, die in tristen Wiener Vororten spielen.  Sommerhundstraum1

Man muss die Inspirationsquellen nicht kennen, um das, was das Künstlerkollektiv unter Leitung der Regisseurs Ernst Kurt Weigel daraus in gemeinschaftlicher improvisatorischer Iteration entwickelte, als ein in sich rundes Theatererlebnis genießen zu können. Höchst amüsant steuern die acht PerformerInnen über die Oberflächen und durch die Tiefen von Schicksalen, die von Einsamkeit, Verzweiflung und Hoffnung, der Tragik eines jeden Lebens und dem, trotz alledem, unbändigen Streben nach Glück gezeichnet sind.

Es ist heiß auf diesem Parkplatz vor dem Baumarkt. Hinter dem Speckstandl läuft verfremdete Werbung auf einer großen Videowand, manchmal aber sind auch Luftschlösser aus den Köpfen und Schmetterlinge aus den Bäuchen der von Liebe Träumenden oder Esel und Pferde mit Reitern (als der Herr Ing. als Esel mit Halskette und Nippelklammern für SM-Spiele mit Ronny erscheint) zu sehen (Wall Visuals: Evi Jägle). Auf einer Drehbühne steht die hölzerne Bude, vor ihr zwei Tischchen, um die herum sich österreichische Underdogs, wie der Programmzettel sie nennt, begegnen, hinter ihr zwei Sonnenliegen, auf denen geflirtet, geliebt und masturbiert wird.

Sommerhundstraum3Wir sehen sie, die da sexuell gemischt-orientiert, variabel Partner-fokussiert, unter temporärem Zauber alternativ passioniert und durch den Anderen per Projektion unterminiert ihrem Glück auf ganz individuelle Weise nachlaufen. Was ihnen dabei im Wege steht, sind ihre seelischen Verwundungen, deren Schmerzen sie verdrängt haben, die jedoch herauf dringen aus dem Dunkel des Unbewussten. Sie zeigen sich in Wut, Aggression, dem Streben nach Überlegenheit und Macht, Sprachlosigkeit, Bulimie, ausgeprägtem Sexualtrieb, und, unter allem liegend, dem immer drückenden Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit. Und sie werden betäubt mit Sex und Alkohol.

Wir sehen alltägliche Rassismen, Ausgrenzungen und Ausländerfeindlichkeit, das ganze Programm der arrogant-proletoiden Dummheit, psychosomatische Syndrome, in Höflichkeiten gekleidete erz-patriarchale Attitüde, prototypische, sexuell übergriffige, von ihrer Geilheit gepeinigte Männer und Frauen, eine nach Missbrauch verstummte Klaudia (Ylva Maj), einen Ronnie (Matthias Böhm), der mit seinem Alkoholismus den Unfalltod seines Sohnes verschuldete, und einen Masseur Luis (Christian Kohlhofer), der die stumme Klaudia bedrängt. Die aber ist die Verlobte der dominant-aggressiven Maria (Yvonne Brandstetter), die unter ihrer schmerzvollen Beziehungs-Vergangenheit leidet und mit ihrem Unterschichten-Slang die Hochzeit zu retten versucht.Sommerhundstraum4

Anna (Sophie Resch) ist eine getriebene Fee/Elfe, deren Hirn einerseits von Songs, Slogans und akustischen Logos aus Werbung, Popkultur und Frauenzeitschriften überflutet scheint, die zum Anderen wie ein statistisches Standl-Amt mit einer Fülle von kontextbezogenen Ranglisten verschiedenster Kategorien brilliert und die mit klugen Fragen und Statements auf die seelischen Wurzeln auffälligen Verhaltens weist. Ihr Zauberstab („Hex Hex!“) erzeugt eine andere Perspektive auf die Dinge, oder besser die Mitmenschen. Plötzlich wird der oder die eben noch Gehasste, Verfluchte, Abgelehnte, Erniedrigte und Beleidigte attraktiv und begehrenswert. Plötzlich feuchtelt's im Schritt.

Sommerhundstraum2EU-Kratie und beständig kolportierter Fachkräftemangel grüßen durch die Putzfrau Jelena (Leonie Wahl), die in ihrer Heimat ein Atomkraftwerk leitete. Herr Ruby (Bernhard Jammernegg) spielt in dem im Stück geprobten Stück einen Gebetsteppich („Das ist was Politisches!“), eine Stehlampe und eine Kerze. Und der joviale, verwitwete Sexist Herr Ingenieur (Kajetan Dick) führt Regie. Die tänzerischen Intermezzi - sie tanzen unter Anderem die Fleischeslust mit Würsten, Speck und Schinken in den Händen - und den am Ende angefügten, weil im Stück nicht untergekommenen Gruppentanz choreografierte Leonie Wahl. Die Soundlandschaft von Bernhard Fleischmann bricht für Tänze und emotionale Passagen mit elektronischem Sound ein in die ewig dudelnde Baumark-Musik. Aber es wird auch live gesungen, von Liebe natürlich.

Sprachlich bewegt sich das durchweg großartig agierende Berhard-Ensemble zwischen vulgärem Wiener Straßen-Slang und Shakespeare'scher Fabulierkunst. Beides ist ein Genuss ob des Kitzels der Fremdheit und der Ökumene von proletarisch Heutigem und sprachkünstlerisch Historischem. Die verbalen, physischen und psychischen Gewalt-Exzesse verstören. Aber sie sind wahr, dem Leben abgeschaut. Bindungsunfähigkeit, Beziehungslosigkeit und narkotisierter Selbsthass prägen die Figuren. Political correctness gibt’s nur als brutales Patriarchat verhüllende Nettigkeit und in ihren ansonsten sehr liberalen, Heteronormativität ad absurdum führenden zeitgeistlichen Ansichten bezüglich geschlechtlicher Identitäten und sexueller Positivität.Sommerhundstraum5

In diesen fast zwei Stunden stellt das berhard.ensemble eine hochkomplexe Fülle von politischen, gesellschaftlichen und individuellen Themen auf die Bühne, arbeitet letztere aber als Ursprung und Quelle, als Unterschicht eben, heraus. Der liebevolle Blick auf die rauen Charaktere und das Ringen um Verständnis, was verstehen meint, nicht tolerieren, macht dieses über weite Strecken so erheiternde Stück zu einer universellen menschlichen Tragödie. Das Ende berührt. Es stimmt traurig und wärmt gleichzeitig das Herz. Weil hier von Menschen erzählt wird, die wir alle kennen, die wir alle sind. Denn eigentlich spricht „Sommer.Hunds.Traum“ von den Weigerungen, sich selbst anzuschauen, die volle Verantwortung für sich zu übernehmen und sich selbst und damit seine Beziehungen und schließlich die Gesellschaft zu heilen. Doch jene Zauberkraft, die die Sinne und also uns verwandeln kann, steckt in uns allen.

„Sommer.Hunds.Traum“ von Ernst Kurt Weigel und dem bernhard.ensemble am 09. April.2024 im OFF-Theater Wien. Weitere Termine: Jeden Dienstag, Freitag und Samstag bis 11. Mai 2024.

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