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                               Zwei dystopische Abende und doch so unterschiedlich: Rätselhafte Geschehnisse in der „Assembly Hall“ von Crystal Pite und Jonathon Young mit der Compagnie Kidd Pivot und eine sehr realistische Erforschung der Angst als politische Manipulation von Toxic Dreams unter der Leitung von Yosi Wananu: „Warten auf die Barbaren“.

Assembly Hall

Crystal Pites Bewegungssprache ist einzigartig. Der gleitende, flüssige Duktus erreicht bei ihr eine spezielle Qualität. Der Boden ist Energiequelle für die geschmeidigen Moves, mit denen die großartigen Tänzer*innen den Bühnenraum fluten. Und die Art und Weise, wie die Impulse genützt werden, sind schier unerschöpflich. Auch in „Assembly Hall“ war einiges von dieser magischen Finesse zu sehen. Einerseits. Andererseits stattet Pite in diesem Stück, das mit dem Theaterautor Jonathon Young entstanden ist, die Charaktere der Darsteller*innen mit einer präzisen und ausladenden Gestik aus, mit denen sie die im Playback gesprochenen Texte begleiten. kiddpivot4

Denn den Aktionen liegt ein Narrativ zugrunde, das den Ablauf steuert. Der „wohltägige und schützende Orden“ hält seine Jahres-Generalversammlung ab, die letzte, so der Vorsitzende. Die Anwesenden stellen sich vor, die Tagesordnung wird verlesen, es werden Jahresberichte geliefert. Und immer wieder, immer öfter und immer heftiger kippt das Stück aus dem Setting in eine fiktive mittelalterliche Welt, denn der wohltägige und schützende Orden veranstaltet offenbar Ritterspiele, bei denen seine Mitglieder in die Rollen von wehrhaften Recken schlüpfen und einander befehden, während eine Frau (Glenda) ihren von einem Ritter getöteten Geliebten lautstark betrauert. In einem Bühnenbild (Jay Gower Taylor) auf mehreren Ebenen mit einem Theater im Theater und dem Lichtdesign von Tom Visser manifestieren sich überwältigende, bewegte Bilder, angesiedelt zwischen düsterer Ritterromantik und dystopischer Fantasy-Ästhetik.

kiddpivot8Am Ende kehrt das Stück wieder zur Generalversammlung zurück, bei der sich die Mitglieder nicht einigen können, ob sich der „wohltägige und schützende Orden“ nun auflösen soll oder nicht. Der Konflikt, den sich die Ritter in ihren Rüstungen auf dem Schlachtfeld lieferten, wird hier in Worten fortgeführt. Die Abstimmung geht für die Weiterführung aus - wie jedes Jahr. „Assembly Hall“ wird so zu einer Metapher für gesellschaftliche Ordnungen, Zugehörigkeit, Ausgrenzung und Anpassung, über die das visuell opulente und gleichzeitig rätselhafte Stück kein abschließendes Urteil abgibt.

Warten auf die BarbarenWarten auf die Barbaren

Yosi Wananu hat die Angst, die zur Zeit von politischen Populisten für ihre Machtzwecke beschworen werden, zur Bühne gemacht. Im Luftschutzkeller des Volkskunde Museum Wien hat er das ÖAA, das Österreichische Archiv der Angst eingerichtet. Auf dem Eingang zur Performance-Installation prangt ein Plakat mit „Festung Österreich“,  eine Reihe von in braunes Outfit gekleidete Archivwärter empfängt uns mit einem Lied: „Willkommen, willkommen, Grüß Gott!“. In der Ideologie-Abteilung beginnt für die Besucher*innen, die zuvor auf einen Geheimpakt eingeschworen wurden, die Indoktrinierung mit der Angst. Die Barbaren sind auf dem Vormarsch und werden alles übernehmen. Daher müssen wir sie stoppen. Um sie draußen, aber auch um die Österreicher drinnen zu halten, werde ein Riesenberg rund um das Land gebaut. Der nächste Raum liefert Nachhilfe in Heimatkunst, ein anderer zeigt uns ein typisch österreichisches Wohnzimmer, mit Glotze, Sofa, einer Gebirgsmalerei und Hochzeitsfoto geschmückt. In einem weiteren Raum läuft eine skurrile Animation von Volksheld Arnold Schwarzenegger am Kreuz. Eine Botschaft wird per Telefon in einer verdreckten Telefonzelle übermittelt, ein Sänger fantasiert von einer Welt in Weiß, ein Ökonom schwadroniert über Tarife, die ausländische Waren ebenso teuer machen werden wie inländische, ganz nach dem Motto: Österreich zuerst!

Warten auf die BarbarenDerart vorbereitet geht es zum zweiten Teil in der Praxis-Abteilung über, in der patriotische Lieder, Selbstverteidigung oder Volkstänze gelehrt werden, wo man erfährt, wie man sich in der Bunker-Isolation ernähren und unterhalten kann. Unter anderen findet man einen Raum voller Luftkonserven. Klar, hier wird Survival für den Ernstfall trainiert und der ist ja laut Aussage der Ideologie-Referenten immanent. Warten auf die Barbaren

Ja, wir Besucher machen alles brav mit, wozu uns die Performer auffordern. Es ist ja nur Theater, oder? Und doch bleibt am Ende die Frage: Wie würden wir im Ernstfall reagieren?

Nicht nur die Kälte der Kellerräume bringt uns zum Frösteln. Die kluge Verschränkung von Texten, Aktionen und Bildern führt die Abgründe populistischer Machtgelüste à la Trump, Orbán oder Kickl drastisch vor Augen: Den Barbaren wird nicht nur die Schuld an unserem Glück oder Unglück zugewiesen, sie sind die „Lösung“ für den politischen Machterhalt. 

Warten auf die BarbarenZur Immunisierung stellt Yosi Wananu in einem Text zur Performance ein Zitat von Franklin D. Roosevelt voran: „Das Einzige, was wir fürchten müssen, ist die Angst“ (The only thing we have to fear is fear itself, 1933). Und in diesem Sinne liefert diese dystopische Inszenierung doch auch ein Heilmittel gegen sie mit.

Crystal Pite & Jonathan Young. Kidd Pivot: „Assembly Hall“ am 9. Mai 2024 im Festspielhaus St. Pölten 

Toxic Dreams: „Warten auf die Barbaren“, Premiere am 26. April 2024 im Volkskunde Museum Wien. Gesehene Vorstellung am 10. Mai. Letzte Vorstellungen am 12. Mai.

 

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