Die Eröffnung der Sommerszene Salzburg geriet zu einem Statement der Gegensätze. Diese kennzeichnen einerseits die Energie geladene und lautstarke Performance „Carcaça“ des portugiesischen Choreografen Marco da Silva Ferreira. Andererseits stand dieser die meditative Installation „Gaia“ von Luke Jerram in der Kollegienkirche gegenüber, die dem Motto des diesjährigen Festivals tatsächlich gerecht wurde: „Changing views“.
Für seine Installation verwendet der britische Künstler Luke Jerram NASA-Aufnahmen von der Erdoberfläche. Die von der Decke schwebende Kugel ist 1,8 Millionen Mal kleiner als die Erde, jeder Zentimeter der von innen beleuchteten Skulptur entspricht 18 km auf der Erde. Der Blick aus dem Weltall verschiebt wohl nachhaltig die Perspektive so mancher Betrachterin: Massiv die Wassermassen, in die die Kontinente eingebettet sind, wobei in der realitätsgetreuen Darstellung Afrika in seiner wahren Größe überrascht. „Gaia“ wurde 2021 für die UN Klimakonferenz in Glasgow kreiert und hat seither zahlreiche Festivals, Wissenschaftsveranstaltungen und öffentliche Plätze belebt. In Salzburg gibt es dazu Workshops, einen Diskussionsabend und zum Abschluss des Festivals eine „Silent Earth Disco“.
Während Jerram Realität in eine ästhetischen Erfahrung verwandelt, versucht sich Marco da Silva Ferreira in der gesellschaftspolitischen Positionierung seiner Tanzschöpfung, die gleichzeitig vor allem auf Energie und Ausdauer setzt. Seine Wirkung erreicht der Choreograf und Tänzer (unter anderen bei Hofesh Shechter, dessen Einfluss unübersehbar ist) mit Gruppenszenen, mit der ständigen Wiederholung einfacher Bewegungen, zum Beispiel dem Wippen von einem Fuss auf den andern in gekreuzter Stellung der Beine, die vom Schlagzeuger João Pais Filipe und Luís Pestana an der Elektronik angetrieben werden. Auch Kombinationen mit Urban Dance Moves und zeitgenössischen, raumgreifenden Sequenzen haben durchaus Appeal, ebenso wie Soli und Duos der ausgezeichneten Tänzer*innen. Betont androgyn auftretend agiert das zehnköpfige Team mit unermüdlichem Einsatz und Können, wobei der akustische Input bis an die Grenzen des Erträglichen ausgereizt wird.
Veränderungen in den Kostümen von schwarzen Trikots zu bunten Röcken und roten T-Shirts offenbaren nicht immer die Intention, außer wenn sie als Banner fungieren. Dazu singen die Tänzer*innen ein Arbeiterinnen-Lied im Stil der 1930er Jahre, in dem sich die ausgebeuteten Löhnerinnen gegen Herrschaftsverhältnisse und Faschismus auflehnen. Die Gender-Umkehr ist als Anerkennung für die Verdienste der Frauen im Kampf für Gerechtigkeit durchaus lobenswert, erscheint im Kontext dieser Performance aber eher als populistische Geste. „Carcaça“ heißt übersetzt Karkasse, Gehäuse. Die Oberflächlichkeit, die der Titel bezeichnet, bestimmt letztlich auch die Inhalte der Performance.
Insgesamt sind die „changing views“ des Performance Arts Festivals Sommerszene Salzburg vorwiegend weiblich konnotiert. So bringt Marta Górnicka mit der chorischen Inszenierung „Mothers – A Song for Wartime“ die Gräuel des Krieges mit aus der Ukraine geflüchteten Frauen auf die Bühne, die Franko-Algerien Nacera Belaza verwebt Tradition und Moderne in Tanz und Musik. Der marrokanisch-französische Choreograf Fouad Boussouf inszeniert mit zehn Tänzerinnen ein „antipatriarchales, feministisches Manifest“ (tanz.at berichtete über das Gastspiel in St. Pölten). Buren von und mit Oshin Albrecht and Melissa Mabesoone versuchen einen Schuhladen, einen Bauernhof und die Kunstwelt miteinander zu verbinden.
Auch bei den Produktionen aus Salzburg – das Programm findet an unterschiedlichen Orten in Salzburg statt – sind Künstlerinnen prominent vertreten: Iris Dittler, Rosana Ribeiro und ihre Tanzcompagnie Selva, Influx unter der Leitung von Nayana Keshava Bhat oder Bodhi Project mit einer Arbeit der griechischen Choreografin Lenio Kalkea. Das Applied Theatre entwickelt mit dem Publikum auf Wanderungen durch die Stadt eine „konstruktive und feministische Zukunft von Salzburg“.
Sommerszene Salzburg, 4. bis 16. Juni an mehreren Spielorten in Salzburg. Eröffnung mit Luke Jerrams „Gaia“ in der Kollegienkirche und Marco da Silva Ferreiras „Carcaça“ in der Szene Salzburg.