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Bosse1Nach diversen Performances und Interventionen in verwundeten, brach liegenden, zerstörten und bewaldeten Landschaften im Freien zieht Claudia Bosse nun in die Halle G des Wiener Museumsquartiers und fügt ihrer Serie „haunted landscape/s“ somit einen Indoor-Part hinzu. In dem akustisch geschützten Raum macht sie das Atmen der nicht nur vom Menschen gemarterten Erde für jeden erfahrbar. 

Die in Wien und Berlin lebende Regisseurin, Choreografin und Künstlerin Claudia Bosse, sie leitet die transdisziplinäre Konstellation „theatercombinat“ in Wien, versammelte für diese Produktion hochrangige KollegInnen um sich. Der Sound kommt von Günther Auer, Komponist und Medienkünstler, mit dem sie seit 2009 zusammenarbeitet. Das Dramaturgen-Team: Krassimira Kruschkova, sie leitete unter anderem von 2003-2017 die Theorie-Abteilung des Tanzquartier Wien und unterrichtet nun in Wien an der Universität für angewandte Kunst und an der Akademie der bildenden Künste, und der Theaterwissenschaftler und Dramaturg Adam Czirak. Beide sind habilitierte Wissenschaftler. Das Lichtdesign stammt von Paul Grilj, der im deutschsprachigen und internationalen Raum an renommierten Häusern auch leitende Funktionen innehatte. Die bildende Künstlerin Julia Zastava steuerte die Kostüme bei, das final eingesetzte Salzobjekt Christopher Schulz.

Bild- und Videomaterial, das bei Recherchereisen auf den indonesischen Inseln Java und Sumatra, in Italien und Deutschland in Regionen mit aktiven Vulkanen, einem Schacht, einem Atommülllager, ehemaligen oder noch aktiven Uran- und Kohleabbau-Gebieten und in der renaturierten „Lausitzer Seenplatte“ entstand, wurden zu einer Video-Installation (von Markus Gradwohl) auf einer riesigen rückwärtigen Leinwand. 

Die PerformerInnen Marcela San Pedro, Lena Schattenberg, Carla Rihl, Jianan Qu, Irwan Ahmett und Claudia Bosse selbst, von ihr stammen Choreografie, Texte, Raum und Objekte, bevölkern in Jeans und oben leicht bis unbekleidet eine Bühne, die als begehbar installiert, vom Publikum jedoch nur am Rand auf mit Erde gefüllten Säcken sitzend belebt wurde. In der Mitte liegen braune, schwere Latex-Folien.Bosse2

Die Luft wird knapp. Für die Erde und die japsenden PerformerInnen. Langsam pulsierendes Licht pocht wie der Herzschlag des Planeten. In schnellen Schnitten huschen Bilder verwüsteter Landschaften über die Leinwand. Wie Erdgeister tasten die fünf durch fremd gewordenes Terrain, plinkern heftig mit den Augen. (Nervöse) Störungen plagen auch die Menschen. Claudia Bosse redet in ihren umfänglichen, so viele Aspekte berührenden Texten vom Fossilien-Sammeln als Kind, Ruinen in der Landschaft, KZ-Arbeitern, Einlagerung von Atommüll, den 24.000 Jahren Halbwertzeit von Plutonium, den Schäden, die wir verursachen. Und davon, dass die Natur sich anpassen kann. Wir nicht.

Zwei Stunden lang erleben wir in multiplen Dimensionen eine Erde, der durch menschliches Tun erheblicher Schaden zugefügt wurde und wird, die zudem aber auch aus eigener Kraft ständigen Veränderungen unterworfen ist. Ein massiges Bild dafür ist die mit Bahnen von Tanzboden simulierte Plattentektonik, die auf die Tribüne, unseren angestammten Theaterlebens-Raum, drängt. Akustik, Licht, Video, Text, Performance und Tanz, Objekte, die sich aus eigener Kraft oder fremd induziert verschieben und verformen, die ein Eigenleben entwickeln und zu Co-Performern werden.

Bosse3Die größte Wirkung allerdings erzielen sie, als sie, wie Geister-Boten, entsandt von einer sprachlosen Erde, mit anschwellenden, tief aus ihrem Innern kommenden Lauten, dann Schreien ihre Qualen durch die Ohren in die Herzen der Zuschauenden pressen. Claudia Bosse findet den Weg in unser oft so fest verschlossenes Empathie-Zentrum. Gegenwehr nicht möglich. Nicht nur in einem metaphysisch-spirituellen Sinn – à la „Wir sind alle eins“ – sind die Schmerzen der Erde die unseren. Die reflexive Komponente unseres Handelns, dass wir uns selbst schaden, indem wir den Planeten verwüsten, machen die sechs in poetischen Bildern sehr deutlich. 

Sie hüllen sich in bedruckte Tücher. Die Wunden in diesen Landschaften sind die ihren. Und sie holen das oft nicht Wahrnehmbare in die Halle. Die wird zum Schmelztiegel räumlicher, regionaler und globaler Phänomene. Mit der Mythologie – Carla Rihl erzählt die Geschichte von Demeter und ihrer Tochter Kore (Persephone), während sie mit einem großen Klumpen Knete oder dessen Teilen figürlich experimentiert – bringen sie die Zeit sowie die Erfahrungen des Planeten ein in dieses Kontinuum von Wandel, Missbrauch und Zerstörung.

Dass Carla Rihl deutsch redet und Claudia Bosse ihre wortreichen Geschichten aus Kindheit, von Vulkanausbrüchen, Atomtests und vielem mehr hingegen englisch, vom starken deutschen Akzent verfärbt und aus dem umgehängten Mobil-Lautsprecher mit ihr durch den Raum wandernd und zuweilen vom Sound gestört und dadurch unverständlich geworden, ist dramaturgisch schwer nachvollziehbar. Das Bemühen um Dichte und hohen Anspruch, um größtmögliche Entfernung von allem, was für flach, einfach oder schlicht gehalten werden könnte, ist allzu sichtbar. Dabei täte nicht nur diesem ihrer Stücke eine Entfrachtung im Sinne größerer, insbesondere auch emotionaler Wirksamkeit vielleicht gut.Bosse4

Dennoch beeindruckt die Komplexität dieses Stückes. Umfängliche Recherchen, die Vielfalt an Perspektiven, die Poesie und die emotionale Wirkung mancher Bilder machen diese Arbeit zu einer ungemein wertvollen. In ihrem ganzheitlichen Ansatz verschränkt Claudia Bosse die physisch-physikalisch-zeitliche und die energetisch-geistige Dimension ohne Scheu vor den Ignoranten und Kritikern des Spirituellen und „Unwissenschaftlichen“. 

Sie akzeptiert den Planeten als einen großen lebendigen Organismus. Diese Sichtweise ermöglicht, die Wechselwirkungen zwischen dem Tun des Menschen und der Reaktion seiner Umwelten als Spiel der Kräfte innerhalb eines Systems zu begreifen, eines Systems, in dem „Gemeinschaften menschlicher und nichtmenschlicher Akteure“ (Krassimira Kruschkova im Programmzettel) jenseits aller Hierarchien miteinander leben (sollten).

Bosse5„Haunted Landscapes or the breathing out of earth“ fordert Empathie. Wie sehr wir alle Teil dieses Systems sind, lässt Bosse uns mit dem Setting spüren. Und damit auch, wie sehr wir Teil des Problems und zugleich der Lösung sind respektive sein können. Wir können uns unserer Verantwortung nicht entziehen, so wenig wie der Magie dieses Stückes.

Sie steht am Ende unter einem wie aus einer Sanduhr fallenden Regen aus Salz, während auf der Leinwand ein pyroklastischer Strom ins Tal rast. Die Salz-Uhr läuft noch länger als der lang anhaltende Beifall ...

Claudia Bosse: „Haunted Landscapes or the breathing out of earth“ am 24 .Oktober 2024 im Tanzquartier Wien.

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