Ja, es ist amüsant. Zu Anfang. Später bleibt einem die Spucke weg, der Atem stockt, einige verlassen den Saal ob der Unerträglichkeit des Geschehens. Theater, darstellende Kunst von einer Intensität, wie man sie sich wünscht und dann doch aushalten muss. Ernst Kurt Weigel ist mit diesem Stück ein verstörendes, weil so wahres, der Gesellschaft ihre gepflegte Haut abziehendes Bravourstück gelungen.
Das Konzept stammt von Ernst Kurt Weigel, er führte Regie, stattete aus und steht seit längerem endlich wieder selbst auf der Bühne in seinem neuesten Mash-Up „Funny.Brandstifter“, für das er sich von Max Frischs 1958 uraufgeführtem Theaterstück „Biedermann und die Brandstifter“ – erste Entwürfe dafür entstanden 1948 unter dem Eindruck der Machtübernahme der Kommunisten in der damaligen Tschechoslowakei – und dem 1997 produzierten Thriller „Funny Games“ von Michael Haneke inspirieren ließ. Und wirklich nur das. Das Ergebnis von Weigels Mash-Ups steht für sich. Vorkenntnisse sind nicht erforderlich, eher sogar hinderlich, weil es eben keine Schnitzeljagd ist.
Auf der Bühne: Vater Siggi (Ernst Kurt Weigel), Mutter Babsi (Yvonne Brandstetter), Tochter Gigi (Ylva Maj), ein vom Rande aus das Geschehen wie das Sprachrohr einer kleinbürgerlichen Mehrheit kommentierender Dr. Kill (Kajetan Dick), und zwei mit grünen Regenmänteln uniformierte Eindringlinge mit vielen Namen (Sophie Resch und Christian Kohlhofer). Leonie Wahl choreografierte mehrere kurze Tanz-Sequenzen, Musik/Sound (schauerlich gut) steuerte Bernhard Fleischmann und die Kostüme (neutral farbig bieder) Julia Trybula bei.
Idylle bei Familie Biedermeier. Die drei reden und bewegen sich in Slow Motion. Sie sind ihrer Zeit ein wenig hinterher. Was draußen passiert, halten sie fern von sich. Aber letztlich ohne Erfolg. Ein Fremder bittet nur um ein paar Eier. Sie sind zu zweit, dringen ein in Heim, Köpfe und Herzen, werden immer unverschämter, reden von Gewalt und Sterben, übernehmen das Heft des Handelns, lassen Worten Taten folgen. Am Ende sind Tochter und Frau tot.
Der riesige Orient-Teppich, auf dem sich das Drama entwickelt und der zu seinem Schutz von den Invasoren per Plastikfolie geschützt wird vor „eventuellen“ Verschmutzungen (auch hier werden deutlichste Zeichen einer angekündigten Katastrophe nicht erkannt und einfach nicht geglaubt), wird zum Symbol für all die gutbürgerlichen Kokons, die atomisierten Mikro-Universen von Bobos und anderen selbstzentrierten Ignoranten.
Diese zwei physischen Eindringlinge mit ihren ständig wechselnden Namen, mit ihrer aalglatten, so schwer zu (be-) greifenden Oberfläche und ihrem perfiden, ungemein geschickten Spiel repräsentieren den Geist, das Gedankengut, das Energetische, die Wörter, die in uns eindringen und uns ideologisch unterwandern. Die Gewalt ist größtenteils noch eine nur in Worten sich manifestierende. Wie klein der Schritt bis in die Tat ist, rufen Mahner vergeblich in die Welt. Weigel zeigt es uns.
Nach und nach werden sie von den Invasoren mit schwarzer Farbe beschmiert, peu a peu werden Geist und Gedanken besudelt, schleichend wird ihre heile Welt unterminiert, unmerklich weicht das zynische Wohltätertum der Haarwuchsmittel-Fabrikanten-Familie mit ihrer mühselig konstruierten und gerechtfertigten Privat-Ideologie, die ins Große projiziert gleichnishaft steht für das erblindete, sich abschottende, selbstgerechte, werte-pluralistische und vor allem politisch sich enthaltende (Groß-, Klein- und Neu-) Bürgertum, zurück vor dem, was darunter immer (!) schlummert und nun erwacht. Sie sehen das Offensichtliche nicht. Nicht, weil sie blind dafür sind. Der Bewahrung ihres Status Quo und der Rechtfertigung ihres ideologischen Lustprinzips ordnen sie jegliche auch deutlichst widersprechende Realität unter. Bis diese zu mächtig wird.
Eine riesige Fülle an Aspekten erwähnen, betrachten, zitieren sie oder deuten sie nur an. Mit viel Humor und beißender Real-Satire. Köstlich, nur als ein Beispiel erwähnt, die parodistische Überzeichnung der zeitgeistigen (und unter ihrer Liberalität so diktatorischen) Gender-Debatte: „Ich möchte heute als Hund gelesen werden!“ Von Papa gefragt entscheidet die materiell verwöhnte, mit ihren seelischen Bedürfnissen jedoch allein gelassene Tochter so und kriecht jaulend über den Boden. Später, nachdem ihr als erstem Opfer die schwarze Gedanken-Brühe über den Schädel geschüttet wurde, wird ihr eigener Vater ihr mit dem Golfschläger in die Weichteile dreschen.
Mit ihren ständig wechselnden Identitäten, die Frau verflüssigt auch ihr Geschlecht, entziehen sich die zwei Eindringlinge jeder Greifbarkeit, beschreiben die Vielgesichtigkeit des Phänomens und der Akteure und mit der Art ihres Agierens gleichzeitig die Subtilität, mit der jene toxischen Gedanken unsere Glaubenssätze und unerschütterlich gewähnten Überzeugungen unterwandern. Und sie sprechen zudem von den vielen Populisten und Demagogen, die da am Werkeln und am Wirken sind.
Die beiden sich ihrer grünen Regenmäntel bald entledigenden geistigen Brandstifter, schnell haben sie sich eingenistet, können nur Brennbares anzünden. Das entflammbare Material träufeln sie Familie Biedermann (Siggi: „Nein! Biedermeier!“) allmählich, unmerklich, in die Seelen. Sie erzählen uns damit von unserer Manipulierbarkeit, von der Existenz und der Wirkung von Ideologien in uns (auch die fundamentalistische Konzilianz ist eine solche), und, ganz nebenher, auch vom Faschismus.
Der lauert um die Ecke, direkt neben den abgelehnten und ins Dunkle unserer Seele verbannten Aspekten unseres Selbst, die darauf warten, gesehen und in unsere psychische Gesamtheit integriert zu werden. Die Folge: So viele Menschen sehnen sich danach, endlich wahrgenommen, anerkannt und einbezogen zu werden. Futter, erst für die Armeen der Rattenfänger, dann für die Kanonen.
Solange wir, jeder Einzelne mit sich, jede Gruppe, jede Gemeinschaft und die Gesellschaft als Ganzes diese Integrations-Arbeit nicht leisten, reichen wir selbst den Übelwollenden den Brandbeschleuniger. Das Stück zeigt uns die Invasion der destruktiven Gedanken. Es geht um den Prozess und die an ihm Beteiligten, um dessen und deren Merkmale und Eigenschaften. Und es geht um die Gewalt. Sie ist in uns allen, nur dank fragiler sozialer und gesellschaftlicher Korsette im Zaume gehalten. Eben diese Gewalt inszeniert Ernst Kurt Weigel mit sicherem Gefühl für die lähmende Poesie des Grauens.
Mit „Funny.Brandstifter“ gelingt Ernst Kurt Weigel und seinem bernhard.ensemble ein höchst brisantes und dabei ewig aktuelles, meisterlich inszeniertes und gespieltes Stück politischen Theaters, das schonungslos in die fauligen Eingeweide einer höchst gefährdeten Gesellschaft eindringt und mit seiner immensen emotionalen Wirkung genau dorthin zielt, woher das Handeln seine Impulse erhält: In die aus Gedanken geronnenen verzerrten Abbilder der Wirklichkeit, in die gefühlten Realitäten also. Weigel wiederholt auf seine Art den vielfach in die Welt gesendeten Appell: Seid wachsam!
„Funny.Brandstifter“ von Ernst Kurt Weigel im Off Theater Wien. Premiere am 29. Oktober 2024, weitere 16 Vorstellungen bis zum 30. November 2024.